Im Alter von 95 Jahren Früherer DDR-Regierungschef Hans Modrow ist tot
Er diente ein Leben lang seiner Partei - von der SED über die PDS bis zur Linken. Fünf Monate lang stand Hans Modrow in der Wendezeit an der Spitze der DDR, bis er sein Amt nach den ersten freien Wahlen räumen musste. Nun ist der überzeugte Sozialist gestorben.
Verbittert sei er nicht, sagte Hans Modrow 2014 in einem Zeitungsinterview - doch zufrieden mit dem Zustand im wiedervereinigten Deutschland auch nicht. Er trete weiterhin für seine Vision von einer gerechteren Gesellschaft ein, gab der langjährige SED-Funktionär immer wieder zu Protokoll. Und sprach mit Blick auf Lohn- und Rentenunterschiede in Ost und West von einer „Zweiheit in Deutschland“. In die Geschichte geht Modrow als der letzte DDR-Ministerpräsident der einst allmächtigen Staatspartei SED ein. In der Nacht zum Samstag starb er im Alter von 95 Jahren.
Aus der aktiven Politik hatte sich der bis zum Schluss geistig rege Pensionär schon lange zurückgezogen. Er blieb aber bis ins hohe Alter Berater für die Linke als Vorsitzender des Ältestenrats der Partei. In einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur kritisierte Modrow Anfang Oktober 2021 nach der schweren Niederlage der Linken bei der Bundestagswahl, dass diese seine Analysen zum Thema Ostdeutschland nicht ausreichend berücksichtigt habe. Er sehe sich als ehemaliger Ministerpräsident „weiter in Verantwortung auch den ehemaligen DDR-Bürgern gegenüber“. Deutschland sah er nach der Wahl an einer „historischen Zäsur“. „Das ist mehr als das Ende der Merkel-Zeit.“
Drei sehr unterschiedliche Parlamente erlebte Modrow: Von 1958 bis 1990 saß er in der DDR-Volkskammer, von 1990 bis 1994 vertrat er die SED-Nachfolgepartei PDS im Bundestag und von 1999 bis 2004 im Europäischen Parlament. Seinen Grundüberzeugungen blieb er im Kern dabei treu. „Das Ziel heißt für mich weiterhin Sozialismus“, sagte er 2008. Der Kapitalismus löse die Probleme nicht, das zeigten Klima-Katastrophe, Ressourcenknappheit und die auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich. „Wenn die Menschheit weiterleben will, wird sie mit dieser kapitalistischen Entwicklung ihre Chancen verspielen.“
1949 sei er aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft bewusst in die neu gegründete DDR zurückgekehrt, obwohl seine Familie inzwischen im Westen bei Hamburg lebte, erzählte Modrow. Er habe nach dem Sieg der Alliierten über den Hitler-Faschismus „immer eine neue, bessere Gesellschaft gewollt“.
Der überzeugte Sozialist galt vielen in der DDR als Hoffnungsträger. Er hatte sich kritische Distanz zur dogmatischen Führungsspitze bewahrt. „Mit den Sozis bin ich persönlich nicht fremd“, sagte er im Oktober 2021 mit Blick auf die Sozialdemokraten. „Mit Egon Bahr war ich befreundet.“ Bahr arbeitete unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) an einer neuen Ostpolitik und einer Verbesserung des Verhältnisses zur DDR.
Den DDR-Machthabern Erich Honecker und Erich Mielke galt Modrow als unsicherer Kantonist, der von der Machtzentrale Politbüro ferngehalten werden musste. 1973 wurde er in die Provinz verbannt, als SED-Chef in Dresden. Erst in den Wendetagen kehrte er nach Berlin zurück. Doch war Modrows Rolle bei der gewalttätigen Niederschlagung von Bürgerprotesten am 4. Oktober 1989 in Dresden umstritten.
Nur vier Tage nach dem Mauerfall wurde Modrow am 13. November 1989 zum Vorsitzenden des Ministerrates der DDR gewählt, als Nachfolger von Willi Stoph. Er blieb es nur rund 150 Tage: Bei den ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990 verlor die SED-PDS die Macht und Modrow einen Monat später sein Amt. Ihm folgte als letzter Ministerpräsident der DDR bis zur Wiedervereinigung der CDU-Politiker Lothar de Maizière. In seiner Amtszeit verhandelte Modrow die ersten Annäherungsschritte mit der Bundesregierung.
Dass auch die DDR den Sozialismus nicht umsetzte, räumte Modrow im Rückblick ein. „Wir sind mit uns selbst nicht klar gekommen, die sozialistische Planwirtschaft hat versagt.“ Vor allem die Verweigerung demokratischer Bürgerrechte bewertete er als großes Defizit. Die SED-Propaganda habe den Menschen stets die bessere Gesellschaft vorgegaukelt, die es nicht gegeben habe.
Doch genauso deutlich wandte sich Modrow dagegen, die DDR ausschließlich als Unrechtsstaat zu verteufeln. In der Bildungs- und Gesundheitspolitik habe es gute Ansätze gegeben. Den Bau der Mauer hielt er auch im Rückblick für gerechtfertigt. „Dass nämlich der 13. August 1961 eine unübersichtliche, gefährliche Lage zwischen den Blöcken klärte, die Berlin-Krise beendete und objektiv Voraussetzungen für die Entspannungspolitik lieferte“, schrieb er in seinem Buch „In historischer Mission - Als deutscher Politiker unterwegs“.
Auch der schnelle Vollzug der deutschen Einheit hat Modrow stets geärgert. Mit dafür verantwortlich machte er den damaligen sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow. Er habe in den Zwei-plus-Vier-Gesprächen über die deutsche Wiedervereinigung das sowjetische „Faustpfand DDR“ überhaupt nicht ausgespielt, kritisierte Modrow 2009 im „Neuen Deutschland“. „Gorbatschow hat die DDR nicht einmal verkauft.“
Stolz war der promovierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler darauf, dass er in seiner kurzen Zeit als DDR-Regierungschef die Ergebnisse der Bodenreform - die großen Enteignungen zwischen 1945 und 1949 - und den Erwerb volkseigener Häuser und Grundstücke für die DDR-Bürger (Modrow-Gesetz) festschreiben konnte. Seine Kritiker werfen ihm vor, die Grundstücke seien vor allem an Funktionäre verscherbelt worden.