Früherer KZ-Wachmann gestorben - Prozess in Hanau fällt aus
Wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 1075 Fällen hätte sich Ernst T. nächste Woche vor Gericht verantworten müssen. Nun ist der 93-Jährige tot. Scharfe Kritik an der Justiz kommt vom Auschwitz-Komitee.
Hanau (dpa) - Wenige Tage vor dem geplanten Prozessbeginn am Landgericht Hanau ist ein ehemaliger Wachmann des Konzentrationslagers Auschwitz gestorben. Das teilte das Gericht am Donnerstag mit. Nach ersten Erkenntnissen starb der 93 Jahre alte Ernst T. eines natürlichen Todes.
Es gebe keine Hinweise auf Fremdverschulden oder eine Selbsttötung, sagte Oberstaatsanwalt Jürgen Heinze. Das ehemalige Mitglied des SS-Totenkopfsturmbannes sei am Donnerstag in seiner Wohnung in Langenselbold (Main-Kinzig-Kreis) gefunden worden. Er habe leblos in einem Zimmer gelegen. Nach ersten Erkenntnissen sei der Tod schon vor etwa zwei Tagen eingetreten. Eine Obduktion wurde angeordnet.
Die Hauptverhandlung gegen T. sollte am kommenden Mittwoch beginnen. Dem seinerzeit 19 und 20 Jahre alten Angeklagten war Beihilfe zum Mord zur Last gelegt worden. Es geht um mindestens 1075 Fälle im Zeitraum vom 1. November 1942 bis zum 25. Juni 1943. Als Mitglied des SS-Totenkopfsturmbannes des Konzentrationslagers Auschwitz soll er dort Wachdienst verrichtet haben.
Im Tatzeitraum soll er an der organisatorischen Abwicklung von drei Transporten mitgewirkt haben. Die Menschen waren aus Berlin, Drancy (Frankreich) und Westerbork (Niederlande) nach Auschwitz deportiert worden. Von ihnen sollen mindestens 1075 unmittelbar nach der Ankunft in Auschwitz in den Gaskammern getötet worden sein.
Nach der Todesnachricht sagte Verteidiger Michael Simon über seinen Mandanten: „Vor einem Jahr wollte er noch kämpferisch rangehen, aber in den vergangenen drei Monaten hat er massiv abgebaut. Seine Einstellung zum Prozess hat sich geändert. Er hat mehr und mehr zugemacht.“ Der Rechtsanwalt hatte angeregt, dass der alte Mann am Montag noch einmal auf seine Verhandlungsfähigkeit untersucht werden sollte. T. habe jede Menge gesundheitlicher Gebrechen gehabt, unter anderem einen Tumor.
Simon sagte, dass sein Mandant nach eigenem Bekunden im fraglichen Zeitraum gar nicht in Auschwitz-Birkenau gewesen sei. Der Wachmann sei in einem Außenlager eingesetzt gewesen, wo Munition hergestellt worden sei.
Deutschlands oberster Nazi-Jäger Jens Rommel bedauerte das Platzen des Prozesses. Der Leitende Oberstaatsanwalt und Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg sagte: „Es ist schade, dass es nicht mehr zu einer juristischen Klärung kommt - sehr misslich so kurz vor der Hauptverhandlung.“
Das Internationale Auschwitz Komitee warf der deutschen Nachkriegsjustiz Versagen vor. „Es ist über Jahrzehnte versäumt worden, die Täter in den Konzentrationslagern schneller vor Gericht zu stellen. Das ist ein dunkler Fleck auf der Visitenkarte Deutschlands“, sagte Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, der dpa. Mit Blick auf den Angeklagten ergänzte er: „Schade, dass er nicht mehr die Gelegenheit hatte, die Wahrheit zu sagen und sein Schweigen zu brechen.“