Fukushima: Tepco verwirrt mit Strahlenwerten
Tokio (dpa) - Verstrahltes Grundwasser, Entwarnung fürs Rindfleisch: Verwirrende Messwerte der Radioaktivität um die strahlende Atomruine in Fukushima verunsichern die Menschen in Japan.
Zugleich bemüht sich die Regierung drei Wochen nach dem verheerenden Beben, Zeichen der Zuversicht zu senden. Zum ersten Mal will Regierungschef Naoto Kan am Samstag in die Krisenregion reisen. Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) wird Japan einen Kurzbesuch abstatten. Die Bundesregierung bleibt sehr besorgt über die Lage in Fukushima.
Die gefährlichen Strahlen-Lecks am Krisen-AKW sind längst noch nicht gestopft. Mittlerweile ist auch das Grundwasser am Kraftwerk verstrahlt, wie neue Ergebnisse nun zeigen. Der Kraftwerksbetreiber Tepco bestätigte am Freitag frühere Messungen, nach denen im Grundwasser nahe dem beschädigten Kernkraftwerk Fukushima Eins 10 000-fach erhöhte Werte von Jod-131 entdeckt wurden. Der Energiekonzern hatte die Analyse wiederholen müssen, da es Zweifel an der Richtigkeit gab. Entgegen früheren Erkenntnissen findet sich nun aber in Rindfleisch aus der Präfektur Fukushima keine erhöhte Strahlung mehr.
Es sei immer noch nicht abzuschätzen, wann die nukleare Krise zu Ende sein werde, sagte Kan. Zunächst müsse sich die Lage in dem Kraftwerk in Fukushima stabilisieren. „Wir sind auf einen langen Kampf vorbereitet“, betonte Kan. Er will am Samstag in die erdbebenzerstörte Stadt Rikuzentakata und in die Präfektur Fukushima reisen, in der auch das havarierte Atomkraftwerk steht. Zum AKW selbst wird er wohl nicht kommen. Bisher war Kan nur in einem Hubschrauber über die Region geflogen. Ein vor einer Woche geplanter Besuch wurde wegen schlechten Wetters abgesagt.
Regierungssprecher Yukio Edano setzte am Freitag allein mit seiner Kleidung ein Signal: Statt im blauen Overall der Rettungskräfte trat Edano wieder im eleganten dunkelgrauen Anzug vor die Presse. „Wir wollten zeigen, dass die Regierung nun auch in die Zukunft blickt. Deshalb haben wir diese Jacken ausgezogen.“ Die Kabinettsmitglieder hatten seit dem Beben vom 11. März die gleiche Arbeitskluft getragen wie die Helfer im Erdbebengebiet. Es sei „Zeit für die Regierung, die nächsten Schritte in Richtung Wiederaufbau zu machen“, sagte Edano.
Unterdessen rügte die Atomsicherheitsbehörde NISA den Tepco-Konzern, weil es in Fukushima nicht genug Strahlenmessgeräte für die Arbeiter gab. Die Männer mussten sich Dosimeter teilen, nachdem viele der Geräte bei dem Erdbeben und dem Tsunami kaputt gegangen waren. Diese Situation müsse verbessert werden, sagte ein NISA-Sprecher.
Laut Tepco stehen mittlerweile 420 Messgeräte zur Verfügung, eines für jeden diensttuenden Arbeiter. Regierungssprecher Edano schloss nach Angaben der Nachrichtenagentur Kyodo nun auch eine Beteiligung des Staates an Tepco nicht mehr aus. Seit Tagen kursieren Gerüchte über eine Verstaatlichung. Kan sagte, es könne sein, dass die Regierung auch einige Kosten der Atomkatastrophe übernehmen könnte.
An der Ruine Fukushima Eins kämpfen die Arbeiter weiter gegen den Super-GAU. Am Freitag sollten sie erneut versuchen, Harz auf die verstrahlten Trümmer zu sprühen. Das Vorhaben musste am Vortag unterbrochen werden, weil es regnete. Der Kunstharz soll verhindern, dass sich der radioaktive Staub verbreitet.
Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, äußerte die Sorge, ob die Bevölkerung in Japan ausreichend vorbereitet sei für eine immer noch mögliche Eskalation der Lage am Kernkraftwerk. Er frage sich, wie der Schutz der Bevölkerung gewährleistet werde, wenn es schlagartig zu einer weiteren Erhöhung der Freisetzung von Radioaktivität käme.
„Die uns vorliegenden Messergebnisse zeigen, dass die unter anderem von der IAEA empfohlene Ausdehnung der Evakuierungsmaßnahmen schon aufgrund der nachgewiesenen Belastungen geboten ist“, sagte König. Am Samstag wird Außenminister Guido Westerwelle (FDP) Japan besuchen. Mit dem Abstecher wolle er Deutschlands Solidarität mit dem schwer getroffenen japanischen Volk zum Ausdruck bringen.
Die Bundesregierung äußert sich erneut besorgt über die Lage in Fukushima. „Wenn ich den Gemütszustand beim Betrachten der Bilder von Fukushima zusammenfassen sollte, würde ich sagen: große Sorge“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. „Es gibt jeden Tag neue Meldungen, die Sorgen machen. Die Meldung von Plutoniumfunden im Boden ist eine sehr ernste. (...) Es ist sehr schwierig, das von hier aus zu beurteilen.“
Keine Gefahr sehen derweil die deutschen Reeder. Über den Seeweg werde keine verstrahlte Ware aus Japan nach Deutschland gelangen. „Bevor ein Containerschiff in Hamburg ankommt, legt es in sechs bis neun anderen Häfen an“, sagte Max Johns vom Verband Deutscher Reeder in Hamburg.
In Japan begann drei Wochen nach der Erdbebenkatastrophe am Freitag eine großangelegte Suchaktion - unterstützt von US-Soldaten - nach Opfern des verheerenden Tsunamis. Große Teile der Küste im Nordosten Japans wurden am 11. März von der teils mehr als 20 Meter hohen Monsterwelle zerstört. Man vermutet, dass viele Opfer ins Meer geschwemmt wurden. Noch werden mehr als 16 400 Menschen vermisst, 11 500 Tote sind bisher bestätigt.