Gänsehaut gefällig? Stadtführung mit Gruselfaktor
Ulm (dpa) - Gaby Fischer sieht gar nicht so schrecklich aus, eher fröhlich. Ein bisschen will sie ihre Kunden aber doch das Gruseln lehren. Die 52-Jährige trägt schwere Stiefel, eine Schaufel, eine Lampe und einen dunklen Umhang, sie steht im Ulmer Viertel „Auf dem Kreuz“ und beginnt gerade ihre Tour.
„Es ist 1895“, sagt sie, und stellt sich ihrer Gruppe als Leichensagerin Ersebeth vor. Als Gesinde müsse sie hier am Stadtrand leben, klagt sie und lehnt sich auf ihren Spaten.
Leichensager mussten früher bei einem Todesfall im Dorf herumgehen und traurige Botschaften übermitteln. Auch Ersebeth läuft von Haus zu Haus, und ihre Geschichten sind ebenfalls eher düster: Längst verstorbene Mönche geistern dabei um alte Kapellen, Soldaten erstechen ihre Geliebten. Es geht um Meuchelmord und den Schwarzen Tod. 90 Minuten Gruseln in Ulm - alles historisch belegt, versichert Ersebeth.
Erlebnisführungen sind im Kommen, ob mit dem Segway oder mit dem Nachtwächter. „Der Trend geht eindeutig zu Themenführungen“, bestätigt Sonja Wagenbrenner, Bundesverband der Gästeführer in Deutschland. Egal ob man an der Mosel mit einem VW-Käfer durch Weinberge fährt, eine Krimitour durch die Münster Innenstadt macht oder in der Gruppe durch Berlin joggt. „Die Leute haben nicht nur ein Bedürfnis nach Information, sondern auch nach Unterhaltung“, sagt Wagenbrenner. „Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.“
Auch dunkle Kapitel der Stadtgeschichte sind beliebt, Geschichte mit etwas Gänsehaut. In Tuttlingen gibt es meist in der Herbstzeit eine gruselige Nacht-und-Nebel-Tour, auch in Bad Waldsee im Kreis Ravensburg treiben Schrättele, Hexen und sogar der Teufel für Touristen ihr Unwesen. In Köln können Stadtbesucher Hexenverbrennung und Folter hautnah erleben.
Die Ulmer Leichensagerin Ersebeth besucht die Kohlgasse, das Hafenbad, die Bockgasse, sie erzählt ihren Gästen von Waisenhäusern, vom abgebrannten Stadttheater, von der Pest. „Normalerweise muss man am Boden beppen bleiben, so viel Blut ist hier geflossen“, kommentiert sie in einer Seitenstraße.
Kurz darauf berichtet die Leichengräberin von der mittelalterlichen Justiz. „Diebe und Soldaten landeten am Galgen, Münzfälscher wurden ertränkt, Mörder geköpft“, erzählt sie. An der nächsten Station erklärt sie, wie man sich am besten vor der Pest schützt - etwa waren nur sechs Leute zur Beerdigung erlaubt, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren.
„Meine Tochter steht gerade auf Grusel“, meint Carmen Stimpfle. Die 47-Jährige aus Illertissen hat schon Nachtwächtertouren mit blutverschmierten Laiendarstellern mitgemacht. „Man denkt, man ist mittendrin“, sagt sie.
Zwischen 25 und 30 Gäste führt Fischer normalerweise herum. „Gerade mit der Gruselführung kriegen wir viele junge Leute“, sagt Fischer alias Ersebeth. „Unser vordergründiges Ziel ist es Geschichte, unterhaltsam zu vermitteln.“
Die gelernte Industriekauffrau rasselte beim ersten Mal durch die Prüfung zur Gästeführerin. „Zu wenig seriös, zu flapsig“, erzählt sie. Ihr waren die üblichen Führungen zu trocken. „In der klassischen Rolle mit den Jahreszahlen bin ich nicht daheim.“ Mit Erlebnisführungen füllt sie nun mit ihrem Kollegen Jörg Zenker (alias Totengräber Theophrast) eine Marktlücke in der Donaustadt. „Du brauchst Empathie“, erklärt sie.
Es ist 19.27 Uhr, Ersebeth schreitet rasch zum letzten Punkt der Führung auf dem Stadtfriedhof, am alten Leichenschauhaus und verwitterten Gräbern vorbei. Die Gruppe trottet ihr hinterher. „Ich bring euch jetzt noch kurz um die Ecke“, scherzt sie und bedankt sich an der Friedhofsmauer bei Gästen für das Trinkeld.
Fischer verkleidet sich nur einmal im Monat als Leichensagerin. Sonst zeigt sie Fremden als Wirtin, Henkerin oder Nachtwächterin ihre Stadt. In ihrem Wagen hat sie eine Schandgeige, ein Henkersschwert, einen Spaten, eine Hellebarde, drei Gewänder immer dabei. Sie führt auf dem Segway durch die Stadt, löst mit Kindern Rätsel um Sherlock Holmes, unterhält auf Geburtstagen und Firmenevents. „Alles, was Spaß macht“, sagt sie. Sogar auf echten Beerdigungen hält sie Trauerreden. „Schwätzen kann ich.“