Gert Mittring: Alle Zahlen im Kopf

Der 42-jährige Schwabe ist ein Mathe-Genie. Und er versteht es perfekt, seine Begabung zu vermarkten. Wo immer er auftritt, lautet die Botschaft: Mathematik macht Spaß.

Düsseldorf. Wie bereitet man sich auf ein Treffen mit jemandem vor, der vor Intelligenz nur so strotzt? Der die 137. Wurzel aus einer 1000-stelligen Zahl in 13,3 Sekunden ziehen kann und der vom Bundesbildungsministerium zum Botschafter für Mathematik ernannt worden ist.

Sollte man noch einmal das große Einmaleins durchgehen? Wohl kaum. Vielleicht noch mal die binomischen Formeln pauken? Das hat schon damals mit der Mathe-Nachhilfe nicht geklappt. Am besten macht man’s mit großer Offenheit: "Herr Mittring, ich gebe zu, in Mathe hat es bei mir nur zur Vier minus gereicht, und das auch nur, weil ich einmal in der Woche die Tafel geputzt habe."

"Das macht doch nichts, das sind mir die Liebsten", sagt der 42-Jährige und schiebt sich die Ponyfransen aus der Stirn, die ihm dieses zerzauste Aussehen verleihen, das man von einem Genie so erwartet. Der Mann mit dem Hochleistungshirn hat ein Herz für Mathe-Muffel.

Dass Mathematik oft als sperrig, trocken und wenig sexy gilt, ist für ihn kein Wunder. "Ich bin davon überzeugt, dass der Mathematik-Unterricht die Kreativität der Kinder wenig stimuliert. Es gibt da elegantere Methoden", versichert Mittring.

Die zeigt er zum Beispiel im Fernsehen, wo der gebürtige Stuttgarter als Unterhaltungs-Mathematiker auftritt und damit in Deutschland ziemlich einzigartig ist. Bei Reinhold Beckmann saß er am Tisch, bei Jürgen Fliege auf dem Sofa und regelmäßig ist er in den Wissensshows von Günther Jauch zu Gast.

Zahlenberater für dessen Produktionsfirma hat er sich einmal genannt. Das sei bei dem Moderator aber nicht so gut angekommen, verrät Mittring und lässt die Stirnfransen ausnahmsweise baumeln.

Zuletzt trat Mittring in der Knobel-Show "Die Weisheit der Vielen" gegen ein Millionenpublikum an, als es darum ging, die Zahl der Münzen in einem Glasbehälter per Augenmaß zu ermitteln. Mittring war am nächsten dran und fand’s "ganz einfach".

Dass Mathe aber auch ganz schwer sein kann, weiß Mittring auch. Der Mann mit dem IQ von über 145 hatte einen Abiturschnitt von 3,7. Im Fach Mathematik gab es eine glatte Fünf.

"Meine Lösungen passten nicht ins Konzept meines Lehrers. Ich habe nicht verstanden, warum ich Zwischenschritte aufschreiben musste, wenn ich die Lösung doch schon hatte", erläutert Mittring und spricht zum ersten Mal sehr langsam.

Dass er denn auch in Psychologie und Pädagogik promoviert hat und nicht in Mathematik, nennt er "biografisch bedingt". Dass er überhaupt einen IQ-Test gemacht hat, hat er einer Wette mit einem Freund zu verdanken.

"Bis dahin habe ich gedacht, ich kann halt gut mit Zahlen umgehen", sagt er und lacht. Eine Kiste Bier hat er gegen seinen Freund gewettet. "Ich war mir sicher, dass ich im Mittelfeld lande", sagt er und bleibt ernst.

Das war Mitte der Neunziger Jahre. Seitdem hat sich Mittrings Leben von Grund auf geändert. Er hat es geschafft, aus seiner Begabung ein Geschäft zu machen. Er tritt nicht nur in Fernseh-Shows auf, er hält Vorträge vor Managern internationaler Konzerne und versucht, Schülern Lust auf Mathe zu machen. Mittring ist eine Marke und er hat eine glasklare Botschaft: Mathematik macht Spaß.

Diese Botschaft vertritt er mit einer Energie, die seine Zuhörer schwindelig machen kann. "Nennen Sie mir einen Bereich in Ihrem Alltag und ich sage Ihnen, wie Mathematik darin vorkommt", sagt er und fixiert sein Gegenüber mit einem Blick, der nach Abenteuerlust aussieht.

Dann erzählt er davon, dass ein gutes Zahlengedächtnis bei einer Diät sehr hilfreich sein kann. Auch Mittring will es demnächst versuchen - mit 600 Kalorien pro Tag. Und dann erklärt er in geschätzten 300 Wörtern pro Minute, wie er eine Formel aufgestellt hat, mit der er den Wochentag jedes beliebigen Datums in Sekundenschnelle ermitteln kann.

Und während sich sein Gegenüber bewusst wird, dass die eigene Vier minus in Mathe seinerzeit völlig berechtigt war, spricht Mittring von Eleganz und Ästhetik. Für ihn ist Rechnen in erster Linie eine Kunst - und erst dann eine Wissenschaft. Ob er denn auch mal eine Zahl vergisst? Die Antwort kommt prompt: "Na klar, wahrscheinlich häufiger als Sie."

Mittring möchte nicht das Zahlenwesen vom anderen Stern sein, sondern seine Begeisterung teilen. Deshalb greift er gerne zum praktischen Beispiel. "Neulich hat mir die Kassiererin zehn Cent zu viel für die laktosefreie Milch berechnet. Die war falsch im Kassensystem eingespeichert.

Sie glauben gar nicht, wie oft das vorkommt", plaudert er und vor dem inneren Auge zeichnet sich eine überraschte Supermarktkassiererin ab, die nicht glauben kann, dass jemand schneller rechnet als die vollautomatische High-Tech-Kasse.

Gert Mittring muss damit leben, dass ihm die wenigsten Menschen folgen können, wenn er seine Rechenkunst ausübt. Dass er sich gerne an anderen misst, macht es nicht einfacher. Vielleicht ein Grund dafür, dass sich der Wahl-Bonner in der Hochbegabten-Förderung einsetzt.

Gemeinsam mit Ida Fleiß, ehemals leitende Psychologin im Hochbegabten-Verein Mensa, hat er ein Diagnostik-Zentrum für Kinder und Jugendliche ins Leben gerufen.

Als Psychologe kann er IQ-Tests durchführen. In Gesprächen mit Eltern und Kindern gibt es Tipps, wie sie in Schule und Privatleben mit ihrer Hochbegabung umgehen können.

Und wie ist es um sein eigenes Privatleben bestellt? Das ist bei all den Terminen kaum vorhanden, wird aber auch sinnvoll genutzt. Sudokus löst Mittring zum Beispiel ganz gern. An einer Poker-Weltmeisterschaft hat er auch schon teilgenommen, einfach so aus Spaß.

Manchmal hat der Rechenkünstler allerdings rein gar nichts mit Zahlen zu tun. Zurzeit zum Beispiel paukt er in seiner Freizeit Spanisch-Vokabeln. Und das hat einen ganz praktischen Grund: Mittring hat sich ein Grundstück in Südamerika gekauft.

"Vielleicht mal für den Ruhestand", sagt der Junggeselle, der ganz gerne auch mal eine Tafel Schokolade zum Frühstück isst - aber natürlich nur, wenn er nicht gerade Kalorien zählt.