Berlin uncool? - Abgesang auf die hippe Hauptstadt

Berlin (dpa/bb) - Der Stich traf mitten ins Herz. Berlin ist nicht mehr cool, nicht mehr hip. Berlin ist angepasst und out.

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So lautete kürzlich das Fazit des amerikanischen Musikmagazins „Rolling Stone“. Das Urteil entstammt einer Recherche im Techno-, Drogen- und Sexclub Berghain in Berlin-Friedrichshain.

Der frühere Underground-Tempel, noch vor Jahren nach einer britischen Rangliste zum „besten Club der Welt“ gewählt, sei inzwischen eine „Touristenattraktion“, hieß es im Trendmagazin. Mit anderen Worten: Berlin wird normal und langweilig.

Ein Schock für die Hauptstadt, die doch stets Wert darauf legt, etwas Besonderes zu sein. Der Abstieg des Berghains stehe aus Sicht der Musik- und Kulturszene symbolisch für die ganze Stadt, schreiben andere US-Medien inzwischen.

Die „New York Times“ zitiert einen 25-jährigen Künstler aus New York, der über das Berghain meint: „Die Musik erinnert mich an Brooklyn.“ Der Stadtbezirk jenseits des East River ist nach seiner Blütezeit als Künstlerviertel inzwischen recht bürgerlich. Internetportale spekulieren denn auch: „Berlin is over. What's next?“. Nicht nur der Berliner „Tagesspiegel“ fragt besorgt: „Ende eines Trends?“

Allzu neu ist die Erkenntnis nicht, dass das wilde, ungezähmte Berlin der 90er Jahre und der Jahrtausendwende vergangen ist. Berühmte Clubs wie Tresor, Bunker oder E-Werk schlossen oder zogen um. Gute Strandbars sind rar. Im Kitkatclub, der beim Sex den Heterosexuellen das bot, was die Schwulen im Berghain fanden, dominiert an manchen Abenden das Easyjet-Publikum aus dem Rest Europas - vollständig bekleidet, was früher undenkbar war.

Entlang ganzer Straßenzüge in Kreuzberg und Friedrichshain reihen sich Allerwelts-Kneipen mit dem Etikett „Restaurant, Bar, Café, Cocktail“ und sogenannte Spätkaufs mit „100 Sorten Bier“. In der Berliner Tageszeitung „taz“ hieß das: „Die Berliner Ballermannisierung im Sommer ist nicht angenehm.“

New York, Paris oder London kennen das längst: Auf Freiflächen stehen plötzlich Bürohäuser oder Hotels. Innenstädte gehören Wohlhabenden, Geschäftsleuten und Touristen. Die Medien schreiben über Sterne-Restaurants und steigende Mieten statt über Subkultur.

Zehntausende Zuzügler jährlich, der Ansturm von Reisegruppen, Schulklassen und Partytouristen haben die Stimmung vertrieben, die sie anzog. Das gehypte Berlin der Wendezeit erleidet ein ähnliches Schicksal wie die Malediven oder Goa.

Kein Grund für Trauer, findet der Szenekenner Ansgar Oberholz (41). Er betreibt das Café St Oberholz, bekannter Treffpunkt von Kreativen, Bloggern und Musikern in Berlin-Mitte. „Es ist doch eher naiv, wenn man denkt, dass alles immer so bleibt. Eine Stadt muss sich entwickeln“, sagt er.

„Berlin verändert sich seit 20 Jahren und immer heißt es "Oh Gott". Ich bin da recht sorglos und sehe das positiv“, meint Oberholz und ist sich sicher, so wie in New York oder London trifft es Berlin nicht. „Es wird immer Freiräume geben. Ärgerlicher fände ich Stillstand.“

Angst vor einer Touristenflaute muss die Stadt mit ihren 3,5 Millionen Einwohnern dennoch nicht haben. Im Gegenteil, der Boom mit derzeit jährlich elf Millionen Besuchern hält an. Auch zum Verdruss mancher Berliner, die sich überrannt fühlen.

Trotz desillusionierter Trendsetter aus New York gilt: Museumsinsel und Mauerreste ziehen Kultur- und Geschichtsinteressierte aus der ganzen Welt an.

Billiges Bier rund um die Uhr und offener Cannabis- und Ecstasyverkauf in den Clubs locken die Partygeneration. So unbehelligt von der Polizei wie in Berlin können junge Menschen sich sonst kaum austoben. Und wer kein Geld hat oder an den gnadenlosen Türstehern des Berghains scheitert, trinkt und feiert im Sommer in Parks oder auf der Straße.

Hip oder nicht ist für die meisten Berlin-Touristen keine Frage. Sondern Nationalgalerie oder Blue Man Group. Oder Becks oder Budweiser.