Castingshows in der Krise?

Berlin (dpa) - So argumentiert jemand, der sich in die Defensive gedrängt fühlt: „Ich glaub', das Problem, das die Leute mit uns haben, ist einfach, dass wir wirklich über zehn Jahre jetzt einfach erfolgreich sind“, sagte Dieter Bohlen, Chefjuror der RTL-Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) am vergangenen Samstag, obgleich genau solche Aussagen niemand von ihm in dem Augenblick hören wollte.

Bohlen, seit zehn Jahren umstrittenes Aushängeschild seiner Show, hat zwar im langfristigen Vergleich Recht. Er ist zweifelsohne erfolgreich, doch seine Einschaltquoten nehmen allmählich deutlich ab. Am Samstag musste er sich bei gerade einmal 4,69 Millionen Zuschauern von Carmen Nebel im ZDF und von Erol Sanders ARD-Krimi „Mordkommission Istanbul“ abhängen lassen. Noch vor Jahresfrist hatte er in der gleichen Folge der Vorgängerstaffel 6,20 Millionen Zuschauer gehabt.

Castingshows haben eben doch ein Problem, auch DSDS. „Das Format der Casting-Shows, insbesondere in der Rambo-Variante eines Dieter Bohlen, ist auf Selbstzerstörung angelegt“, sagt Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen und Autor des Buches „Die Casting-Gesellschaft“. „Vorproduzierte Gags und so offensichtlich kalkulierte Rempeleien demontieren die Aura des Authentischen, die man so angestrengt simuliert.“

Auch das begrenzte Rollen-Arsenal der „ewig gleichen Typen - Gescheiterte mit krimineller Vergangenheit, talentlose Freaks, eher schüchtern geratene Schönlinge - haben die einzelnen Sendungen unendlich berechenbar gemacht“, fährt Pörksen fort. „Superstars, auch das hat das Publikum längst begriffen, werden so gewiss nicht produziert. Am Ende des Tages geht es nicht um die Auswahl der Besten und Talentiertesten, sondern nur um einen großen Sack mit Geld.“

Offenbar hat das Publikum begriffen, worum es geht. Der Einschaltimpuls lässt nach. Nicht nur DSDS wird zunehmend als langweiliger empfunden. Auch die RTL-Suche nach dem „Supertalent“ hat nach der Quotenauswertung ihren Zenit im vergangenen Herbst überschritten und musste empfindliche Niederlagen im direkten Vergleich gegen Thomas Gottschalks „Wetten, dass..?“-Abgesang und die neue ProSieben/Sat.1-Show „The Voice of Germany“ einstecken.

Auch die Diskurse der Internet-Chatter wie zum Beispiel bei „Bild.de“ belegen, welche Ziele das durchsichtige Prinzip Casting verfolgt: „DSDS ist fertig!“, schreibt einer. „Die Show war vor fünf Jahren noch interessant. Nun kommt immer mehr zum Vorschein, für was die Sendung steht! RTL ist nur an den Einschaltquoten interessiert! = Geld!!!“, schreibt ein anderer.

Bohlen hat einen guten Riecher dafür entwickelt, wenn er eine Schippe mehr auf sein Format drauflegen muss, weil Not am Mann ist. Am Samstag rannte er publikumswirksam sogar aus der Halle raus, als Kandidat Joey einen Ton nach dem anderen vermasselte. Solche Auftritte braucht die Show, die sonst blutleer zu werden droht. Aber verbessern sie die Aussichten auf ein gutes Ergebnis? RTL versucht am kommenden Samstag etwas Neues: Die Kandidaten singen im Doppel. Joey muss mit Luca ran - ein Kreativitätsschub in der Bredouille.

Nicht nur Bohlen mit DSDS und „Das Supertalent“ haben Federn gelassen, auch das Laufsteg-Spektakel „Germany's Next Topmodel“ läuft dieses Jahr weniger rund. Gerüchte um ein Aus nach dieser Staffel zerstreute ProSieben mit der Ankündigung, im nächsten Jahr werde es eine Neuauflage mit Heidi Klum geben. Die inhaltsgleiche Show „Das perfekte Model“ auf Vox legte gleich bei der Premiere eine unerquickliche Vorstellung hin (Fortsetzung ausgeschlossen), die Show „X Factor“ auf Vox schnitt im zweiten Durchgang im Herbst schwächer als im Vorjahr ab (geht trotzdem weiter), und die ARD-Suche nach dem nationalen Eurovision-Song-Contest-Vertreter interessierte im dritten Jahr der Zusammenarbeit von ARD und ProSieben/Stefan Raab auch nur noch wenige Zuschauer.

„Mittlerweile hat sich das Angebotsspektrum an Castingshows stark ausdifferenziert, so dass DSDS mit immer mehr Konkurrenten zu kämpfen hat“, stellt die Hamburger Medienwissenschaftlerin Joan Kristin Bleicher fest. „Gleichzeitig nutzen sich die Wirkungsdimensionen der Sendung von Staffel zu Staffel immer stärker ab.“ Ihr Kollege Pörksen geht weiter: „Das Format vernichtet sich selbst. Die Macher stecken in der Inszenierungsfalle, die sie selbst gebaut haben.“

Da bremst Bleicher wieder und meint: „Trotz der aktuellen Krise ist zu konstatieren, Castingshows haben eine lange Traditionslinie im deutschen Fernsehen, man denke etwa an den "Talentschuppen". So ist absehbar, dass es auch künftig Castingshows geben wird.“