Eine Woche Conchita-Wahnsinn

Berlin (dpa) - Sonntag, 11. Mai 2014, 0.22 Uhr: Beim Finale des Eurovision Song Contest (ESC) in Kopenhagen ist nach mehr als drei Stunden Musikspektakel die Sensation perfekt.

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Schon deutlich vor dem Ende der aufwendigen Punktevergabe steht fest, dass Österreich mit der Dragqueen Conchita Wurst den traditionsreichen Wettbewerb gewonnen hat. Es ist der zweite Sieg der Alpenrepublik seit 48 Jahren - und der Auftakt zu einer spannenden Woche. Die Nachwirkungen des Wurst-Siegs in Fragen und Antworten:

Warum gab es so viel Begeisterung über den Sieg von Conchita Wurst?

ESC: Conchita Wurst holt die Krone für Österreich
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Für Fans ist der Sieg der bärtigen Dragqueen bei der wohl größten Musikshow Europas das - manchmal auch übersteigerte - Symbol für einen Triumph der Toleranz. Wurst war seit Monaten im Internet und auch von einigen Politikern, etwa aus Russland und Weißrussland, böse angegangen worden. Schließlich jedoch gaben sogar 13 Länder (von 37) die Höchstwertung zwölf Punkte. Ausgerechnet Österreichs großer Nachbar Deutschland blieb jedoch - im Gegensatz zur Schweiz und Slowenien - mit sieben Punkten (vierthöchster Wert) vergleichsweise knauserig, was jedoch nur am schlechten und zu 50 Prozent einfließenden Jury-Votum lag. Aus Russland kamen fünf Punkte, was an einem recht hohen Zuschauervotum lag.

Warum gab und gibt es soviel Hass gegenüber der bärtigen Dragqueen?

Ein Mann, der gerne Frauenkleider trägt und eine weibliche Kunstfigur schafft, die grazil-glamourös auftritt, dabei jedoch als Bruch einen Vollbart trägt - das ist zuviel Geschlechterverwirrung auf einmal für einige Menschen. Das zeigen von Ekel und Wut erfüllte Kommentare in sozialen Netzwerken und unter Berichten über Conchita. Viele Wurst-Hasser denken absurderweise, dass die mediale Berichterstattung über offen Schwule, Travestie oder Transvestitismus diese Lebensweisen zum Ideal für alle ausrufe. Dabei geht es wohl eher darum, diese Facetten nicht zu verschweigen.

Wie reagiert Conchita Wurst auf die Anfeindungen?

Conchita Wurst - eigentlich Thomas (Tom) Neuwirth (25) - fährt charmant lächelnd einen Konfrontationskurs gegenüber Menschen, die sie angreifen. „Man muss mich nicht lieben, aber man muss akzeptieren, dass ich da bin. Denn ich gehe nicht mehr weg“, sagte sie etwa bei „Stern TV“ am Mittwochabend. Und auf seiner Homepage erklärt Neuwirth das Konzept wie folgt: „Conchita verdankt ihre Geburt dem Umstand, dass Tom Zeit seines Lebens mit Diskriminierung zu kämpfen hatte. Also schuf er eine Frau mit Bart. Als auffälliges Statement. Als Katalysator für Diskussionen über Begriffe wie „anders“ oder „normal“. Als Ventil, mit dem er seine Botschaft unübersehbar und unüberhörbar in alle Welt tragen will. Aussehen, Geschlecht und Herkunft sind nämlich völlig WURST, wenn es um die Würde und Freiheit des Einzelnen geht.“

Welche Rolle spielte Sido bei Conchita Wurst?

„Ich glaub, man macht sich lächerlich mit 'ner Frau mit Bart, wenn man die als Repräsentanten für ein Land in ein anderes Land schickt.“ Worte von Sido, der lang als Juror in österreichischen Castingshows fungierte und dabei auch Conchita Wurst begegnete. Als Mitglied der deutschen Jury sah Rapper Sido (eigentlich Paul Würdig) die Wurst persönlich nur auf Platz 13 und damit ohne Punkt (nur die ersten zehn bekommen Punkte). Sido verteidigte sich nach Angriffen von Wurst-Fans via Facebook: Es sei „eine reine Geschmacksfrage“, warum ihm die „Performance des Herren aus Österreich“ nicht gefallen habe. ARD-Unterhaltungschef und ESC-Teamchef Thomas Schreiber nahm seine Jury, die Conchita komplett punktelos ließ, in Schutz: Wenn der Sieg von Wurst als Zeichen der Toleranz in Europa betrachtet werde, sei es eine Selbstverständlichkeit, dem Urteil von Musik-Experten dieselbe Toleranz entgegenzubringen. Fast nirgends sonst lagen Jury und Zuschauer so weit auseinander wie in Deutschland.

Wer freute sich?

Wursts Sieg rief neben allerhand Wortspiel-Witzen viel Freude und auch Pathos hervor. Alice Schwarzer sah im Sieg „klar ein politisches Statement“, Wurst sprenge die Geschlechtergrenzen. Die „New York Times“ attestierte ihr eine Stimme „wie gemacht für den Broadway“. US-Popsängerin Cher twitterte unterstützend: „Das Aussehen von jemandem ist keine Bedrohung.“ Chers Tipp: „Du verdienst einen schöneren Namen und eine bessere Perücke.“ Julio Iglesias lobte: „Sie ist eine Super-Sängerin...“ Und Udo Jürgens freute sich über die Symbolkraft und wünschte Kraft angesichts weiter zu erwartender Anfeindungen.

Wie geht es jetzt weiter in Wien mit Conchita Wurst?

Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) will Conchita am Sonntag im Kanzleramt empfangen. Am Abend soll Wurst dann ein Konzert vor dem Amt am Ballhausplatz geben. Österreichs Fernsehen ORF, das eigenständig und ohne Show gewagt hatte, Wurst zum Contest zu schicken und damit gewann, will spätestens in zwei Monaten, wahrscheinlich aber schon vor Juli, entscheiden, wo der ESC 2015 ausgetragen wird. Wahrscheinlich wird es die Hauptstadt Wien.