Erstes Mehrgenerationenhaus für Schwule

Berlin (dpa) - Wenn ein Mensch sich seinen Ruhestand verdienen kann, dann hat Bernd Gaiser das wohl getan. Jahrzehntelang kämpfte der 67-jährige Berliner für die Rechte von Schwulen und Lesben.

Der pensionierte Buchhändler war Aktivist der ersten Stunde. „Als ich Ende der 60er Jahre aus Baden-Württemberg nach Berlin kam, drohte einem als schwuler Mann in Deutschland noch Gefängnis“, erinnert er sich. Was ihn und seine Mitstreiter nicht daran hinderte, auf der Straße demonstrativ Händchen zu halten. Damals war das ein gesellschaftlicher Affront. Und ein politisches Statement.

Nun hat sich Gaiser zur Ruhe gesetzt, unter Gleichgesinnten. Im Stadtteil Charlottenburg hat er eine Maisonette-Wohnung im „Lebensort Vielfalt“ bezogen. Nach Angaben der Initiatoren ist es das erste Mehrgenerationenhaus für Schwule und Lesben in Europa. In dem Haus in der Niebuhrstraße 59/60 riecht es noch nach frischer Farbe. Hier und da legen Handwerker den letzten Schliff an. Die Wohnungen sind begehrt, fast alle sind schon vergeben: Der Jüngste ist um die 30, der älteste Bewohner 84 Jahre alt. Draußen vor dem Eingang wehen die bunten Regenbogen-Fahnen, Symbol der Schwulen und Lesben.

Zur Eröffnung war auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) gekommen und staunte über das sechs Millionen Euro teure, „einzigartige Modellprojekt“. 24 Wohnungen gibt es im „Lebensort Vielfalt“, teils rollstuhlgerecht. Bei Pflegebedürftigkeit kommen selbstverständlich schwule Pfleger in Haus. Und im zweiten Stock liegt die „Demenz-WG“, die Deutschlands erste Wohngemeinschaft für schwule Männer mit Demenzerkrankung sein soll. Das Café im Erdgeschoss ist für alle da, bald soll auch der große Garten ordentlich bepflanzt werden.

„Das ist gelebte Nachbarschaft“, sagt Marcel de Groot, Geschäftsführer der Berliner Schwulenberatung. Der Verein hat das Wohnprojekt initiiert und im Mehrgenerationenhaus eine Etage bezogen. Bei Sorgen und Nöten haben es die 26 Bewohner also nicht weit. Und die haben Schwule und Lesben auch heute noch, selbst im so vermeintlich liberalen Berlin. „Diskriminierung gehört für viele zum Alltag. Sie ist latenter als früher, aber noch da“, sagt de Groot. In traditionellen Seniorenheimen trauten sich Schwule nur selten zu outen, aus Angst vor Abweisung und Demütigung.

Schwule in Seniorenheimen, das ist tatsächlich ein neueres Phänomen. Viele homosexuelle Männer starben früher vor dem Rentenalter an Aids. Bernd Gaiser kann gar aufzählen, wie viele seiner Bekannten der Immunschwächekrankheit erlegen sind. „Mein Freundeskreis ist wegen Aids ganz schön dezimiert“, sagt Gaiser. Etwa ab Mitte der 90er Jahre kamen dann die ersten wirksamen Medikamente auf den Markt, heute kann man in Deutschland auch mit einer HIV-Infektion alt werden.

Im Mehrgenerationenhaus fand Gaiser schon neuen Anschluss, so hat sich der 67-Jährige mit seinem Nachbarn eine Tür weiter angefreundet. „Der ist Tischler und gerade am Einziehen“, sagt der Buchhändler erfreut und zeigt anerkennend auf ein paar Holzmöbel vor der Haustür des neuen Nachbarn. Der Bücherwurm und der Handwerker - den beiden werden die Gesprächsthemen so schnell nicht ausgehen.