Lesung im Live-Stream Internetkarriere jenseits der 80: YouTuberin „Marmeladenoma“

Sie ist 86 Jahre alt und liest bei Youtube Märchen vor - Helga Sofie Josefa alias die „Marmeladenoma“.

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Ettlingen. „Ich mag meinen Vornamen nicht. Am besten man nennt mich einfach „Marmeladenoma“, sagt Helga Sofie Josefa gleich zu Beginn des Gesprächs. Ihren Nachnamen gibt sie öffentlich ohnehin nicht preis.

Für Pressebesucher und vor der Kamera für ihre Videos legt die 86-Jährige - inzwischen ein YouTube-Star - ihre „Uniform“ an: lila Samtbluse, lila Kette und einen farblich passenden Amethyst am Ringfinger.

Ihre Wohnung im badischen Ettlingen sieht in Wirklichkeit genauso gemütlich aus wie in den Videos - die Wände sind tapeziert mit Fanpost, in den Regalen stapeln sich Märchenbücher, die Schränke sind überladen mit Mineralien und Froschfiguren. „Ich bin schon ein kleiner Messie“, sagt sie und kichert wie ein junges Mädchen.

Ihre aktuelle Karriere begann wie im Märchen. Vor zwei Jahren schlägt ihr damals 15-jähriger Enkel Janik vor, mehr Zeit miteinander zu verbringen. Früher hat Oma ihrem Enkel viel vorgelesen, doch heute sitzt er oft am Computer - die gemeinsamen Stunden werden rar. Er richtet einen Live-Stream auf YouTube ein und erfindet wegen der Marmeladen-Einkochkünste seiner Oma ihren Künstlernamen. Sie liest Märchen vor - und die Welt schaut zu.

Der Durchbruch kommt einige Monate später als Gronkh, einer der beliebtesten YouTuber Deutschlands, den Stream seinen Abonnenten empfiehlt. Innerhalb von Tagen vervielfacht sich die Zahl der Follower. Heute hat die „Marmeladenoma“ rund 191 000 Abonnenten und wurde bereits mehr als 10 Millionen Mal geklickt.

Social-Media-Experte Hendrik Unger von der Kölner Agentur 36grad hält ihren Kanal für ein Phänomen: „Die „Marmeladenoma“ ist weit entfernt vom Durchschnitt der YouTuber. Sie ist ein Exot. Sie wirkt fremd in diesem Medium, aber stellt gleichzeitig Vertrautheit her, weil jeder die Situation als Enkel kennt“, sagt der Experte. „Sie traut sich, vor die Kamera zu treten und hat auch diese Art, sich selbst aufs Korn zu nehmen, die viele erfolgreiche YouTuber haben. Man muss eben eine bestimmte Type sein, eine Marke.“

Nur wenige YouTuber im Rentenalter tummeln sich auf der Videoplattform. Das Ehepaar Erna und Willi etwa hat den Kanal „Ü70 - Deutschlands älteste YouTuber“ gegründet. Erna erzählt: „Als wir den Kanal starteten, dachten wir, die Hauptgruppe der Abonnenten wären Leute in unserem Alter. Doch das trifft nicht zu. Tatsächlich ist YouTube zur regelmäßigen Benutzung für Leute über 60 noch immer unvertraut und ungewohnt.“ Warum ihr Kanal so beliebt ist, erklärt sie sich so: „Wir eignen uns offensichtlich als Projektionsfläche für Großelternsehnsüchte.“

Sehnsucht nach heiler Welt und der guten alten Zeit - das treibt wohl auch die vielen Fans der „Marmeladenoma“ an. Jeden Abend beantwortet sie Fanpost - oft bis Mitternacht und per Hand. „Meine Freundinnen beklagen sich schon, dass man einen Termin bei mir bräuchte“, sagt sie. Geld verdiene sie trotz der Millionenklicks kaum.

Immer wieder betont die „Marmeladenoma“, dass Janik und sie ein Team seien. „Zwei Drittel der Arbeit geschieht hinter den Kulissen.“ Nur konsequent, dass die beiden im Juni vergangenen Jahres in Düsseldorf gemeinsam den Webvideopreis 2017 in der Kategorie „Livestream“ entgegennahmen. Und auch in Berlin waren sie zusammen bei der Verleihung der „Goldenen Erbse“ - eines Preises von „Märchenland“, dem Deutschen Zentrum für Märchenkultur. Die Anstecknadel trägt die 86-Jährige am Revers.

Vor Kurzem traf Helga eine 102-Jährige beim Metzger. „Ich kenne Sie“ rief die demnach, als sie die „Marmeladenoma“ sah. Helga überlegt: „Vielleicht sollten wir sie mal zum Live-Stream einladen?“ Mit anderen älteren YouTubern etwas gemeinsam zu machen, kann sie sich momentan aber nicht vorstellen. „Das würde thematisch nicht passen.“

Den Weltrekord als älteste YouTuberin hält die „Marmeladenoma“ allerdings noch nicht. Die indische Mastanamma mit ihrem Kanal „Country Foods“ soll stolze 106 Jahre alt sein. Zwanzig Jahre muss die Marmeladenoma also mindestens noch dranbleiben, um aufzuholen. dpa