Mit Abba und Altstadt-Charme: ESC in Stockholm
Stockholm (dpa) - Lautes Kreischen, grelle Scheinwerfer - wer kurz vor dem Eurovision Song Contest die Veranstaltungshalle „Globen“ in Stockholm betritt, in der das Spektakel Mitte Mai steigt, möchte sich Augen und Ohren zuhalten.
„Alles unter Kontrolle“, versichert Ola Melzig.
Der Schwede, abstehende Haare, Ohrringe, schwere Silberkette um den Hals, ist technischer Direktor beim ESC. In den letzten 16 Jahren war er zwölfmal beim Grand Prix dabei, da sitzt jeder Handgriff. „Mich bringt nichts aus der Ruhe.“ Dabei geht es in der gemütlichen schwedischen Hauptstadt sonst nie so hektisch zu wie gerade, vor dem Finale des Eurovision Song Contest am 14. Mai.
Die Stadt hat sich fein herausgeputzt, um ihre internationalen Besucher zu beeindrucken. Die U-Bahn zum „Globen“ fährt im ESC-Gewand, und das Fan-Café hat einen Premiumplatz bekommen: in der Altstadt am Wasser, einen Steinwurf entfernt vom Königsschloss. Wenn er wollte, könnte Carl XVI. Gustaf von der Terrasse hinüberwinken.
Natürlich mischt auch Abba-Star Björn Ulvaeus (71) beim Song Contest noch einmal mit. Die Poplegenden haben dem Grand-Prix-Sieg 1974 mit „Waterloo“ schließlich ihre kometenhafte Karriere zu verdanken. Wer testen will, ob er selbst das Zeug zum ESC-Star hätte, kann in der Ausstellung „Good Evening Europe“ im Abba-Museum Karaoke singen.
Ulvaeus war auch da, als der Eurovision Song Contest Ende April in Aachen den europäischen Medienpreis Karlsmedaille bekam. In seiner Laudatio rühmte er das ESC-Finale als den Abend, an dem die Zuschauer sich für einen kurzen Moment vorstellen könnten, was ein „gemeinsames Europa“ wirklich bedeuten könnte.
Politisch will der Grand Prix ja eigentlich nicht sein, er ist es aber doch immer irgendwie. In diesem Jahr vor allem wegen der Krimtatarin Jamala, die für die Ukraine antritt. In „1944“ singt sie über die Vertreibung der Minderheit unter Stalin und stichelt so indirekt gegen die aktuelle Krim-Situation und somit auch Russlands Präsidenten Wladimir Putin.
Dessen Land wird seit der Annexion der Krim regelmäßig beim ESC ausgebuht. Diesmal könnte der Russe Sergei Lasarew (andere Schreibweise: Sergey Lazarev) mit dem temporeichen „You Are The Only One“ aber eine echte Chance haben, wenn man zumindest Anfang Mai dem Wettanbieter Ladbrokes glaubte. Dort führte der 32-Jährige längere Zeit die Favoritenliste an. Weit vorne lag etwa auch der französische Frauenschwarm Amir mit „J'ai cherché“.
Wer Jamie-Lee Kriewitz suchte, musste dagegen weit herunterscrollen. „Ich versuche natürlich alles, um auf Platz eins oder in die ersten fünf zu kommen“, sagt die 18-Jährige. Ob die Schülerin aus Hannover mit dem Popsong „Ghost“ die Geister vom letzten Jahr vertreiben kann?
Nach null Punkten für Deutschland im vergangenen Jahr liegt die Messlatte jedenfalls nicht besonders hoch. Außerdem hat das Mädchen, das gern knuffige Plüschpandas im Haar trägt, etwas mit Schwedens ESC-Held vom letzten Jahr gemeinsam: Wie Måns Zelmerlöw wurde auch Jamie-Lee durch eine Castingshow bekannt. Das könnte ihr zumindest mit der Aufregung helfen, meint der Sänger. „Es ist ein Vorteil, schon mal vor einem großen Publikum aufgetreten zu sein.“
Auf einem laminierten Plastikschild, das an einer der Türen auf den verschlungenen Gängen des „Globen“ klebt, steht „Dressing Room Måns“. Dahinter sitzt Zelmerlöw entspannt auf einer dunkelgrauen Couch. Ob er dieses Jahr nervös ist? „Nö, gar nicht.“ Nach seinem Triumph mit „Heroes“ steht der 29-Jährige wieder auf der Bühne - als Moderator neben der Komikerin Petra Mede.