Naher Osten: Terror in der Wiege der Christenheit
Christen sind im Nahen Osten vielfach Verfolgungen ausgesetzt — und hoffen auf die Idee des religionsneutralen Staats.
Düsseldorf. Irgendwann im Verlauf des Abends sagt Bischof Anba Damian den Satz: „Wir leiden, aber wir dürfen den Mund nicht aufmachen. Wenn doch, ist das Staatsverrat.“ Der oberste Repräsentant der Koptisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland, hierzulande Bischof für 12 000 Kopten, lächelt dabei freundlich, wie er immer freundlich lächelt. Aber sein Satz ist eine bittere Lagebeschreibung der koptischen Christen in Ägypten, wo ihre Kirche beheimatet ist und ihr Papst seinen Sitz hat.
Ein Jahr ist es her, seit ein Selbstmordattentäter des IS in der Kirche St. Peter und Paul in Kairo fast 30 Menschen getötet hat. Auch die Liste der Gewalttaten gegen Kopten davor und danach ist lang und blutig. „Es gibt einen Hass gegen den Terror, aber nicht gegen Terroristen“, behauptet Damian trotzdem. Man bete auch für die Täter. Die Koptische Kirche zählt zu den ältesten der Welt und ist die größte christliche Gemeinschaft im Nahen Osten. Ihr gehören rund zehn Prozent der gut 90 Millionen Ägypter an.
Bischof Damian ist an diesem Abend zu Gast in der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei — auf Einladung des Europaministers Stephan Holthoff-Pförtner (CDU). Der erinnert in seiner Begrüßung zur Diskussion „Christen im Nahen Osten“ daran: „Die Heimat der drei abrahamitischen Religionen liegt im Osten. Aber christliche Werte sind für uns zu oft westliche Werte.“
Dabei sei doch Ägypten das einzige Land, „das der Heiligen Familie vorübergehendes Asyl gewährt hat“, greift Damian den Ball schmunzelnd auf. Um später an den Psychoterror gegen Christen unter der Herrschaft des Islamisten Mohammed Mursi zu erinnern. Nach dessen Sturz 2013 sei für die koptischen Christen vieles besser geworden. Der amtierende Präsident Abdel Fatah al-Sisi pflege eine „sanfte, orientalische Sprache“. Aber den Schutz der Mädchen und Frauen vor Vergewaltigung, Entführung und Zwangsverheiratung könne auch er bisher nicht gewährleisten. Und jetzt versucht der IS zusätzlich, mit seinem Terror einen Spalt zwischen Christen und Muslime zu treiben.
Dabei funktioniere das Miteinander von Christen und Muslimen in Ägypten eigentlich gut, sagt der Bischof. „Wir haben Probleme mit dem Islam, aber nicht mit Muslimen.“ Eine Ursache für diese Grundprobleme sieht sein libanesischer Gesprächspartner Assaad Elias Kattan in den Kreuzzügen des Mittelalters. „Seither fällt es den Muslimen schwer, zwischen östlichen und westlichen Christen zu unterscheiden“, sagt der christlich-orthodoxe Theologe, seit 2005 Lehrstuhlinhaber an der Universität Münster.
Kattan kennt auch die Situation in der syrischen Hauptstadt Damaskus mit allein einem Dutzend christlicher Konfessionen gut. Mit der Entwicklung der Baath-Diktatur seien die religiösen Unterschiede gegeneinander ausgespielt worden. „Heute gibt es auf muslimischer wie christlicher Seite viele Ängste.“
Der Theologe setzt auf eine Wiederbelebung der Idee eines säkularen Rechtsstaats in der arabischen Welt, wie sie Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts schon einmal verbreitet war. Erst die ausbleibende Umsetzung habe die islamistischen Gruppierungen gestärkt. „Die Muslimbrüder profitieren vom Scheitern des religionsneutralen Staates.“ Dessen Renaissance sei trotz der enttäuschten Hoffnungen des arabischen Frühlings nicht ausgeschlossen: „Die jungen Menschen lehnen die Diktatur ab.“
Die Rolle der Christen in der Zeit nach dem Krieg sieht Kattan „in der Versöhnung der syrischen und irakischen Gesellschaft“. An den Orten der Massaker müsse es eine „Heilung durch Erinnerung“ geben. „Und mittelfristig gibt es für den vorderen Orient keine andere Alternative als den religionsneutralen Staat — trotz Fundamentalisierung, Radikalisierung und Islamisierung.“ Die Muslime bräuchten eine Relativierung des islamischen Konzepts der Umma, der Weltglaubensgemeinschaft. „Als spirituelles Band ist sie okay. Aber wenn sie politisch verstanden wird, wird es heikel.“ Davon hänge die Zukunft des Islams ab.
Noch aber gelten Christen im Nahen Osten vielerorts als „fünfte Kolonne des Westens“. Bischof Damian spricht von einer „Freitagsphobie“ der koptischen Christen, weil man nie wisse, was gerade in den Moscheen gepredigt werde und welche Folgen das habe. Aber sie wollen sich nicht zurückdrängen lassen. Die Gemeinde der Al-Qiddissine-Kirche in Alexandria, die am Neujahrstag 2011 Ziel eines Terroranschlags war, „ist danach um das Dreifache gewachsen“.