Quelle für Frauenpower: Buchladen als Ort der Aufklärung
Tübingen (dpa) - „Der Tod des Märchenprinzen“, „Ich bin ich“, „Die Scham ist vorbei“ - das waren Buchtitel, die in den 1970er Jahren für die Selbstbestimmung der Frau standen. Ihr Zuhause hatte die feministische Literatur in Frauenbuchläden, die es damals in jeder größeren Stadt gab.
Ihr Motto hieß: Lesen ist politisch. Heute stehen die Läden, in denen Männern in der Regel der Zutritt verweigert ist, auf der roten Liste. Eine Handvoll gibt es in Deutschland noch, darunter „Thalestris“ in Tübingen. Der nach einer Amazonenkönigin benannte Laden ist wohl der einzige Deutschlands, der noch von der Gründerinnengeneration geführt wird.
Frauenbuchläden waren Zeichen der Befreiung in einer Zeit, in der häusliche und sexualisierte Gewalt sowie lesbische Liebe tabu, Schwangerschaftsabbrüche nur in Ausnahmefällen möglich und Frauen die Arbeit am Herd zugewiesen waren. „Bis 1977 mussten Frauen noch die Zustimmung des Ehemannes einholen, wenn sie arbeiten wollten“, sagt Nicola Poppe, die 1978 mit acht Mitstreiterinnen den Laden in einem Fachwerkhaus aus der Taufe hob. Die Mutter aller deutschen Frauenbuchläden war „Lillemors“ in München, gegründet 1975. Von der damaligen Welle übrig geblieben ist überdies die „Xanthippe“ in Mannheim, die seit 1978 besteht.
„Gewinne erwirtschaften war nicht das Ziel der Frauenbuchläden. Mit viel Idealismus und ehrenamtlichem Engagement schafften Frauen einen Raum, in dem Sexualität, Gewalt in der Ehe, Schwangerschaftsabbruch thematisiert wurden“, erläutert Buchwissenschaftlerin Imke Folkerts. Das bestätigt das „Thalestris“-Trio Poppe, Kornelia Wagenblast und Hannelore Haeusler. „Wir schaffen gerade mal eine schwarze Null“, sagt Wagenblast. Ihr Einkommen verdienen sie und Haeusler als Grafikerinnen, Poppe sitzt an einer Theaterkasse, um ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Der Frauenbuchladen ist allen Dreien weniger Arbeitsplatz als Berufung.
Die Buchpreisbindung ist für Frauenbuchläden wie für alle kleinen Buchhandlungen überlebensnotwendig. „Ohne sie gäbe es uns überhaupt nicht mehr“, sind die „Thalestris“-Frauen überzeugt. In den USA, von wo Poppe und Wagenblast die Idee der Frauenbuchläden mit nach Deutschland brachten, seien sie mangels eines festgelegten Buchpreises bereits untergegangen.
Auch für die Kundinnen sind Frauenbuchläden mehr als ein Geschäft. „Hier fühle ich mich wohl, hierher komme ich, um mich zu stärken“, sagt die Verkäuferin Hanna M., die gerade ihre Pause bei einem Kaffee im Tübinger Laden verbringt. „Das ist meine Wellness-Oase“, erzählt die 52-Jährige, die sich vor allem für „Frauenpower-Bücher“ wie „Göttinnen altern nicht“ interessiert.
Früher umfasste das Programm von Läden wie „Thalestris“ vor allem Erfahrungsberichte, Fach- und Sachbücher sowie theoretische Schriften. „Unterhalten wollten die Frauenbuchläden nicht, sondern aufklären“, weiß Folkerts, Sprecherin des Vereins Bücherfrauen, einer Organisation von Frauen im Literaturbetrieb.
Die Tübingerinnen haben ihr Programm mittlerweile erweitert: Im Angebot sind auch Krimis von Nele Neuhaus und Charlotte Link, DVDs und Audio-CDs. Auch Zeitschriften wie die altehrwürdige „Emma“ oder das junge Frauen ansprechende „Missy Magazine“ sind zu haben. Die Frauenbuchläden „Pusteblume“, eröffnet 1995 in Dresden, und „Laura“, gegründet 1977 in Göttingen, bieten auch Kinderbücher an.
Die stark rückläufige Anzahl von Frauenbuchläden wie von Frauenliteraturverlagen spiegelt auch gesellschaftliche Entwicklungen wider, meint Folkerts. „Der Feminismus ist heute weniger sichtbar, rechtlich haben Frauen schon viel erkämpft, etwa die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe.“ Aber Bücher mit emanzipatorischem Charakter seien nicht überflüssig.
Das merken auch die Tübinger Buchhändlerinnen. Zwar seien die Kundinnen mit ihnen alt geworden, erzählen Poppe und Wagenblast, die um die 60 Jahre sind. Doch seit etwa zwei Jahren kommen junge Frauen verstärkt in den Laden. Aufgerüttelt worden seien sie durch die Internet-Feministin Anne Wizorek. Diese hatte den Bericht einer „Stern“-Journalistin über eine anzügliche Bemerkung des FDP-Granden Rainer Brüderle für eine breite gesellschaftliche Diskussion über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz genutzt.