Rassismusdebatte So rassistisch ist Deutschland - Erfahrungen aus dem Alltag
Nicht nur Noah Becker findet, Berlin sei gar nicht so weltoffen wie die Politik oft glauben machen will. Menschen mit dunkler Hautfarbe ernten häufig schiefe Blicke und dumme Sprüche.
Berlin. Saraya Gomis ist Tochter einer Deutschen und eines Senegalesen. Die Studienrätin wird manchmal beim Bäcker von Fremden gefragt, „wo ich denn herkomme“. Bei einer Konferenz sprechen andere Teilnehmer hartnäckig Englisch mit ihr, nachdem sie schon mehrere Antworten in akzentfreiem Deutsch gegeben hat. In der U-Bahn befühlt ein fremder Mensch neugierig - ohne um Erlaubnis zu fragen - ihre langen Zöpfe. „Ich habe dieser Person dann einfach auch in die Haare gegrabbelt. Komischerweise ist sie dann völlig ausgeflippt.“
Ein rassistischer Tweet über den Maler Noah Becker hat die Debatte über das „N-Wort“ und überhaupt Rassismus im deutschen Alltag nun neu entfacht. Über den Account des sächsischen AfD-Politikers Jens Maier ist ein angeblich von einem Mitarbeiter verfasster Kommentar zu Noah Becker veröffentlicht worden. Darin wurde Becker als „Halbneger“ bezeichnet. Der Tweet bezog sich auf ein Interview, in dem der Sohn von Tennislegende Boris Becker und Barbara Becker erklärt hatte, Berlin sei im Vergleich zu Paris und London eine „weiße Stadt“. Er selbst sei wegen seiner braunen Haut angegriffen worden.
„Noah Becker spricht aus, was viele schwarze Menschen in Deutschland leider Tag für Tag erleben müssen: Sie werden beschimpft, sie werden bei der Jobsuche benachteiligt, sie bekommen keine Wohnung“, sagt die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders.
Viele schwarze Deutsche hätten das Gefühl, als Bürger dieses Landes nicht für voll genommen zu werden, sagt Lüders. „Diesem Eindruck müssen wir entgegentreten - auch indem wir Diskriminierungen offen ansprechen und Rassisten klar in ihre Schranken weisen.“
Saraya Gomis ist Antidiskriminierungsbeauftragte des Berliner Bildungssenats und engagiert sich ehrenamtlich gegen Rassismus und für Chancengleichheit. Wenn sie mit jungen Arabern, Türken und Schwarzen in die Deutsche Oper im bürgerlichen Berlin-Charlottenburg geht, erlebt sie diesen „kleinen Moment der Stille“. „Die Stille, diese Blicke, das muss man aushalten.“ Wenn Schüler, Eltern, in seltenen Fällen auch Lehrer, zu ihr kommen, die sich wegen ihrer sexuellen Orientierung, einer Behinderung oder aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert fühlen, kann sie gut nachfühlen, wie es ihnen geht. Denn Diskriminierung hat sie in Berlin auch schon selbst erlebt.
Gomis sagt, wenn ein Deutscher türkischer Herkunft von den Menschen in seiner Umgebung immer wieder den Stempel des „Fremden“ und „Anderen“ aufgedrückt bekomme, identifiziere er sich irgendwann auch mit der Gruppe, der er zugeordnet werde. „Wenn er dann schließlich sagt, „Ja, ich bin Türke“, heißt es, „Aha, nicht integrierbar““.
Gomis lacht viel, auch wenn sie von peinlichen Momenten im gesellschaftlichen Miteinander berichtet. Im Zusammenhang mit ihrem Engagement gegen Rassismus bekommt sie häufig Hass-Mails. Der Grundtenor dieser Mails sei ein befürchteter „Genozid an den Deutschen“, sagt sie. Die Schreiber unterstellten Schwarzen oft, sie seien „übersexualisiert und nicht so intelligent“.
Berlin, sagt sie, sei keineswegs so weltoffen, wie oft behauptet werde. Menschen mit Migrationsgeschichte erlebten hier oft, dass sie vor Lokalen abgewiesen würden. „Sie merken dann, die Hälfte der Orte ist gar nicht für mich. Mir bleibt dann eben die Shisha-Bar.“
Auch die Beschwerden, die bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingehen, zeigen, dass man als „phänotypisch differenter“ Mensch in Deutschland ein robustes Nervenkostüm braucht. Eine 19-Jährige meldet sich dort nach einer Fernbusreise von Berlin nach Leipzig. Sie berichtet, der Busfahrer habe sie beim Einsteigen mit den Worten „Ich fahre nicht nach Südafrika“ begrüßt. Immerhin: das Busunternehmen schickt später eine Entschuldigung und einen Freifahrtgutschein.
Auch wenn die blöden Sprüche kurzfristig vielleicht mehr schmerzen. Mindestens genauso folgenschwer sind Vorfälle wie der Fall einer dunkelhäutigen Frau, die sich um einen Ausbildungsplatz hat. Bei der Antidiskriminierungsstelle meldete sich die Frau, nachdem das Versicherungsunternehmen seine Absage damit begründet hatte, die Kunden hätten Angst vor ihr.
Nicht jeder wird so deutlich. Manchmal werden Aussehen und Herkunft zwar nicht thematisiert. Trotzdem erleben Menschen mit afrikanischen Vorfahren häufiger, dass sie bei der Wohnungssuche mehr Absagen erhalten als andere, von Türstehern oft abgewiesen werden und von Fremden auf Drogen angesprochen werden.
Fälle, in denen eine Lehrkraft sagt, „Mohammed geht besser nicht auf das Gymnasium, weil er beim Lernen sicher keine Unterstützung von der Familie erhält“, kennt Gomis aus ihrer beruflichen Praxis. Genau wie den Vorwurf, ein Schüler reagiere zu empfindlich - zum Beispiel wenn immer wieder das „N-Wort“ fällt. Sie stört auch, dass die „kleine Fatima“ im Schulbuch nie das Mathe-Genie ist, sondern immer das arme Flüchtlingsmädchen, „dem Peter und Julia helfen“.
Das mit der Hilfe ist sowieso heikel. Der Journalist Mohamed Amjahid, Sohn ehemaliger „Gastarbeiter“ aus Marokko, beschreibt in einem Buch, wie er im Sommer 2015 am Münchner Hauptbahnhof verzweifelt versucht, über die neue „deutsche Willkommenskultur“ zu berichten. Anstatt auf seine Fragen zu antworten, will ihm damals eine „ältere Frau im dirndlartigen Kleid“ unbedingt ein Stück Seife aufdrängen. „Soaap is goood“, (Seife ist gut) wiederholt sie beharrlich - obwohl er sich ihr als Journalist aus Berlin vorgestellt hat.