Superheldinnen „Tibeb Girls“: Mit Zeichentrickfilmen gegen Tabus

Addis Abeba (dpa) - Fikir spürt ein Stechen im Herzen. Irgendwo in der Nähe braucht ein Mädchen dringend Hilfe, das weiß sie. In Windeseile verwandeln sich Fikir und ihre zwei Freundinnen in Superheldinnen.

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Die Äthiopierinnen tragen traditionelle weiße Kleider, bunte Umhänge und - wie es sich für Superhelden gehört - Masken. Hand in Hand fliegen sie durch die Luft, um die zwölf Jahre alte Schulkameradin Hanna vor ihrem bitteren Schicksal zu bewahren - der Kinderheirat.

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Spätestens seitdem Wonder Woman auf der Kinoleinwand einen Weltkrieg zu beenden versucht, sind weibliche Superheldinnen aus dem Schatten von Superman, Batman & Co. hervorgetreten. Der Trend fasst auch in Äthiopien Fuß - in ungewöhnlicher Form: Die Heldinnen der Zeichentrickserie „Tibeb Girls“ sind junge, afrikanische Mädchen. Sie springen nicht von Wolkenkratzern oder durch Schützengräben, sondern leben in einem Dorf in Äthiopien. Und sie bekämpfen keine Kriminellen oder Kriegsgötter, sondern die Benachteiligung und Misshandlung von Mädchen.

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„Es ist nicht fair, dass die Hälfte der Bevölkerung anders behandelt wird“, sagt Bruktawit Tigabu, die Macherin von „Tibeb Girls“. „Und das müssen Kinder lernen.“ Die Superheldin Fikir - Amharisch für „Liebe“ - hat die Gabe der Empathie und kann spüren, wenn Mädchen ihre Hilfe brauchen. Tigist („Geduld“) ist außergewöhnlich schlau. Und Fitih („Gerechtigkeit“) hat übermenschliche Kräfte. Nur zusammen können sie die Probleme der Mädchen in ihrer Umgebung lösen.

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Und Lösungen sind dringend nötig. Eine Mischung aus Tradition, Armut und mangelnder Bildung führt dazu, dass in dem ostafrikanischen Land mit mehr als 100 Millionen Einwohnern Mädchen und Frauen stark benachteiligt sind. Viele gehen, wenn überhaupt, nur wenige Jahre in die Schule, wie Tigabu erklärt. Sie müssen danach zuhause oder auf dem Feld helfen, was oftmals schwere Arbeit ist.

Ein großes Problem ist zudem die Kinderheirat. Fast zwei Drittel der Frauen heiraten nach DHS-Angaben vor ihrem 18. Lebensjahr. Eigentlich sei eine Ehe gesetzlich erst ab 18 erlaubt, sagt Eshetu Alemu von der Organisation World Vision. Doch dies durchzusetzen sei schwer.

Die meisten Familien können die Schulkosten der Kinder nicht bezahlen, wie Alemu erklärt. Demnach werden Töchter dann oft früh verheiratet, um die finanzielle Belastung für die Familie zu reduzieren. Auch benötigten viele Familien zusätzliche Hilfe im Haus und setzten ihre Schwiegertöchter als Haushaltskräfte ein. „Und oft unterstützen die traditionellen Glaubenssysteme und Religionslehren diese Praxis der Kinderheirat“, sagt Alemu.

Das will Tigabu ändern. Zwar hat die in der Hauptstadt Addis Abeba aufgewachsene Äthiopierin dies nicht am eigenen Leib erfahren müssen. Doch die 36-Jährige war Grundschullehrerin - sie habe dort gesehen, wie sehr Mädchen schon in jungen Jahren zurückgelassen worden seien, sagt sie. Das Thema geht der Mutter von zwei Kindern sichtlich nahe. „Es ist meine Verantwortung, einem Mädchen zu helfen, wenn es Hilfe braucht.“ Tränen fließen. „Kinder haben so viel Potenzial, wir müssen es nur in die richtige Richtung lenken.“

Ihr war klar, dass sie als Lehrerin nur einige wenige Kinder erreichen kann. Mit Medien aber womöglich Hunderttausende, sagt Tigabu. Deshalb habe sie „Whiz Kids Workshop“ gegründet, mit dem sie bereits einige erfolgreiche Bildungs-Zeichentrickserien und -Kampagnen entwickelt hat.

Mit „Tibeb Girls“ - „Tibeb“ bedeutet „Weisheit“ auf Amharisch - will Tigabu nun gezielt die Benachteiligung von Mädchen ansprechen. Und die Einstellung in der Gesellschaft verändern. „Mädchen wird immer gesagt: Du kannst dies nicht, du kannst das nicht - diese Botschaft müssen wir neu downloaden, für Mädchen und für Jungs.“

Ein Zeichentrickfilm sei dabei ein effektives Medium, sagt Tigabu. Er transportiere die Themen spielerisch, und die Erwachsenen fühlten sich nicht direkt angegriffen. Die erste Episode wurde bereits produziert, das Geld für die Produktion der ersten Staffel steht bereit. Nun sucht Tigabu einen TV-Sender, der sie ausstrahlt.

Da viele äthiopische Kinder keinen Fernseher haben, haben Tigabu und ihr Team auch ein Comic-Buch der „Tibeb Girls“ produziert und planen zudem eine Radiosendung. „Whiz Kids Workshop“ arbeite auch mit Organisationen zusammen, die in den ländlichen Regionen gut vernetzt sind, um in Schulen oder in den Gemeinden die Episoden zu zeigen, sagt die 36-Jährige.

Ihre beiden Kinder durften die erste Episode von „Tibeb Girls“ bereits anschauen. Seitdem binden sie sich öfter einen traditionellen Schal als Umhang um und flitzen durch das Haus, wie Bruktawit Tigabu erzählt. Ihre neunjährige Tochter habe einmal zu ihr gesagt: „Mama, du bist meine Superheldin.“