Ungewöhnliche Wohngemeinschaft: Achenbach oben, Wallraff unten

Der verurteilte Kunstberater Helge Achenbach ist bei dem Enthüllungsjournalisten Günter Wallraf untergekommen — und wohnt dort unter dem Dach.

Köln. Es ist ein ungleiches Paar, das da auf der Terrasse hoch über den Dächern von Köln-Ehrenfeld in der Abendsonne sitzt. Der eine, mit verkehrt herum aufgesetzter Schirmmütze, ist Günter Wallraff (75), der bevorzugt aus dem Alltag der Machtlosen berichtet. Der andere, mit gelichtetem schneeweißem Haar, ist Helge Achenbach (66), ehemals Kunstberater der Reichen und Schönen, nunmehr verurteilter Betrüger. Vier Jahre saß er im Gefängnis, jetzt wohnt er bei Wallraff unterm Dach und teilt sich mit ihm Küche und Bad. Was hat Deutschlands bekanntesten Undercover-Journalisten dazu gebracht, den gefallenen Star der Kunstszene bei sich aufzunehmen?

Eine steile enge Treppe führt zu Achenbachs Wohnung, an den Seiten stapeln sich Bücher. Zwei kleine Zimmer mit Schräge. In dem einen ein Bett und ein Schrank, in dem anderen ein Tisch und Regale mit Steinen, Baumrinde und anderen Fundstücken. „Ich fühle mich wie in meine Studentenbude zurückversetzt“, lacht Achenbach. Aber das gefalle ihm sehr. „Hier in diesem Schutzraum habe ich zum ersten Mal wieder eine ganze Nacht durchgeschlafen.“

„Wie in meine Studentenbude zurückversetzt“: Helge Achenbach in seiner Dachwohnung im Hause Wallraff. Foto: dpa

Die Tür zu einem winzigen Balkon steht offen, von da aus blickt man in verwinkelte Gärten und Hinterhöfe. Man sieht Bewohner eines Flüchtlingsheims an einem Tisch sitzen, essen und lachen. Sein früheres Leben erscheine ihm jetzt sehr weit weg, sagt Achenbach. Und dann beginnt er zu erzählen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich verhaftet werden könnte, aber als mich dann die Kripobeamten am Flughafen erwarteten, war mir sofort klar: Jetzt kommt was Brutales! Es war einen Tag nach dem furchtbaren Pfingststurm, der in Düsseldorf alle Bäume umgelegt hatte. Das erschien mir wie ein Fanal.“

Achenbach hatte den Aldi-Erben und Multimilliardär Berthold Albrecht beim Vermitteln von Kunst mit verdeckten Preisaufschlägen betrogen. „Die ersten Monate im Knast waren die Hölle“, schildert er. „Dieses Nacktsein, In-der-Zelle-Liegen. Und immer der Gedanke: Wie konntest du so ein Irrer sein, das alles zu zerstören? Alles, was du in 40 Jahren aufgebaut hast! Jetzt bist du ein Betrüger, ein Knacki. Was für ein Horror! Da gab’s dann auch Suizidgedanken, die ich aber nie geäußert habe, weil mir die Mitgefangenen gesagt haben: Erwähn’ das nicht, sonst wirst du jede Viertelstunde kontrolliert!“

Überwunden habe er diesen Tiefpunkt, weil er sich irgendwann eingestanden habe, dass er selbst schuld war an seinem Unglück. „Ich habe Scheiße gebaut, und das war die Strafe. So einfach. Ich habe mir gesagt: Das Jämmerlichste, was jetzt passieren könnte, wäre, dass du dich auch noch aufhängst.“ Diese Wende habe er nicht allein geschafft, andere hätten ihm geholfen: die Gefängnispsychologin, der Pfarrer, die JVA-Sport-Beamtin.

Danach sei es leichter für ihn geworden. Mit den anderen Häftlingen habe er sich gut verstanden, schließlich habe er Sozialpädagogik studiert und als junger Mann in der JVA Siegburg gearbeitet. Seinen Gefängnisalltag packte er sich bewusst voll: „Morgens um fünf bin ich aufgestanden. Um sechs hab’ ich das Essen verteilt in meiner Etage. Um sieben bin ich zum Sport, hab’ Trikots und Schuhe verteilt, die schmutzigen Klamotten gewaschen, die Toiletten geputzt. Mittags um zwölf wieder Essen austeilen, um zwei Uhr nochmal Sportraum aufschließen, um fünf Abendessen. Meist bin ich sofort nach der Tagesschau eingeschlafen.“ Mittwochs gab er zwei Stunden Kunstunterricht, das Interesse sei riesig gewesen. Er selbst begann im Gefängnis zu malen. Einer seiner Skatbrüder war der frühere Top-Manager Thomas Middelhoff.

So blickt er heute fast dankbar auf die Haft zurück: „Sie erscheint mir in gewisser Weise wie ein Aufenthalt im Kloster, eine Meditation. Ich glaube, sonst wäre ich heute gar nicht mehr da: Herzinfarkt, Schlaganfall. Es gab eine Zeit vor meiner Verhaftung, da war ich in einem Monat in 15 Städten mit zehn verschiedenen Privatflugzeugen unterwegs.“

Wallraff bestätigt das: „Ich habe dich damals bei einer Benefiz-Auktion erlebt, da hast du auf großer Zampano gemacht, und alle scharwenzelten um dich rum.“ Es ist nicht das erste Mal, dass Wallraff einen Gestrauchelten aufnimmt. Ein Obdachloser wohnte schon bei ihm, aber auch politisch verfolgte Künstler aus dem Iran und der Türkei fanden eine Bleibe. Salman Rushdie tauchte hier unter, nachdem der Ayatollah Khomeini eine Todesdrohung gegen den Schriftsteller ausgesprochen hatte. Dass der „Ganz unten“-Autor nun aber den einstigen Kapitalisten-Berater und Millionen-Betrüger Achenbach bei sich einziehen lässt, mag manche überraschen.

„Ich habe ihn kennengelernt, als er aus dem Kunstgeschäft raus wollte, weil es da immer mehr nur noch um Spekulation und Geldanlage ging“, erklärt er. Er habe den Eindruck, dass Achenbach aus seinen Fehlern gelernt habe. „Das Gefängnis hat ihn nicht gebrochen, sondern aufgebaut und seine positiven Seiten hervorgebracht.“

Auf einen grünen Zweig dürfte Achenbach nicht mehr kommen: Das Düsseldorfer Oberlandesgericht hat ihn am vergangenen Donnerstag zu 16 Millionen Euro Schadenersatz für die Albrecht-Familie verurteilt. „Ich bin entmaterialisiert“, sagt er in Anlehnung an Joseph Beuys. Dennoch ist er schon wieder aktiv: Er engagiert sich für politisch verfolgte Künstler, ein Unternehmer hat ihm dafür kostenlos einen Bauernhof am Niederrhein zur Verfügung gestellt. „Wenn ich heute einem Künstler, der vier Mordanschläge in Syrien überstanden hat, ein Atelier vermitteln kann, dann ist das ein Moment, der mich glücklich macht. Viel glücklicher als alles, was ich früher gemacht habe.“ Er wirkt tief bewegt, als er das sagt.

Natürlich steckt dahinter auch wieder sein alter Geltungsdrang, das gibt er zu. Seine Motivation ist vielleicht stärker denn je: Auf seinem Grabstein soll einmal etwas anderes stehen als „der Aldi-Betrüger“.