Lesebuchlexikon Podolski und Co.: Viele polnische Spuren in Deutschland
Darmstadt (dpa) - Wer im Ruhrgebiet aufgewachsen ist, kennt Begriffe wie „Rabotten“ - umgangssprachlich für Arbeiten. Ebenso wie zahlreiche Menschen mit Nachnamen wie Kaminski oder Kowalski gehört das Wort zu den sprachlichen Spuren der „Ruhrpolen“, die im 19. Jahrhundert nach Deutschland einwanderten.
Im nun erschienenen Lesebuchlexikon „Polnische Spuren in Deutschland“ des Deutschen Polen-Instituts (DPI) und der Bundeszentrale für Politische Bildung ist ihnen ein eigener Eintrag gewidmet.
In den ersten Wochen wurden nach Angaben der Bundeszentrale bereits mehr als 1500 Exemplare bestellt. Schon allein der Umfang des Buchs von 450 Seiten zeigt: Nicht nur aufgrund der Nachbarschaft lässt sich schon seit langem viel Polnisches in Deutschland finden.
„Statistisch gesehen kann man sagen, dass heute ungefähr zwei Millionen Menschen in Deutschland leben, die entweder Polen sind oder aus Polen stammen oder sonst irgendwie mit Polen eng verbunden sind“, sagt Peter Oliver Loew vom DPI in Darmstadt, einer der Autoren. Das sei die zweitgrößte Gruppe nach Türken oder Deutschen mit türkischen Wurzeln.
Robert Lewandowski, der Bayern-Stürmer und Kapitän der polnischen Nationalmannschaft gehört ebenso dazu wie die ehemaligen deutschen Nationalspieler Miroslav Klose und Lukas Podolski, die beide in Polen geboren wurden. Gerade wer - wie Podolski - zum polnischen Teil seiner Identität stehe, könne ein Vorbild sein für Jugendliche, die „mit einem Fuß in Deutschland, mit dem anderen in Polen stehen“, meint Loew. „Dann gibt es in Frankfurt eine gewisse Schwesta Ewa, die mit Gangsta-Rap bekannt geworden ist. Das sind für bestimmte Teilgruppen der Gesellschaft auch Identifikationsfiguren.“
Im Lesebuchlexikon finden Schwesta Ewa und DJ Tomek ebenso Platz wie die polnisch-deutsche Porno-Legende Teresa Orlowski, oder die ARD-Vorabendserie „Lindenstraße“, in der die Polin „Urszula“ jahrelang zu den festen „Bewohnern“ gehörte. Ob polnische Putzfrauen, der Kleinstwagen „polski Fiat“, polnischer Jazz oder pikante, mit Knoblauch gewürzte polnische Wurst - sie alle haben im deutschen Alltag ebenso ihre Spuren hinterlassen wie die Vertreter polnischer Kultur von Frédéric Chopin bis Andrzej Szczypiorski, dessen Roman „Die schöne Frau Seidenman“ in den 80er Jahren zum Bestseller in Deutschland wurde und das Interesse an polnischer Literatur weckte.
„Die Aufarbeitung der deutsch-polnischen Beziehungen ist ein fester Teil der politischen Bildungsarbeit in Deutschland. Dieses Lesebuchlexikon ist ein weiterer Schritt in diese Richtung“, sagt Miriam Vogel von der Bundeszentrale für politische Bildung. „Es ist ein Lesebuch, das zugleich informieren und unterhalten will, indem es Einblicke in Unbekanntes und Spannendes gewährt.“ Es werde versucht, wichtige Personen, Orte, Ereignisse, Phänomene oder auch „Vergessenes und Skurriles“ aufzuspüren.
Neben Migrationsgeschichten, Alltag und Kultur finden sich in dem Lexikon aber auch Einträge zu den dunklen Kapiteln deutsch-polnischer Nachbarschaft - von den Auschwitz-Prozessen, in denen zahlreiche polnische Überlebende erstmals in Deutschland Zeugnis ablegten von der planmäßigen Vernichtung im größten Todeslager des nationalsozialistischen Deutschlands, bis zu den ehemaligen Zwangsarbeitern, die bis in die späten 90er Jahre auf eine Entschädigung warten mussten.
„Ich hoffe, dass es uns gelingt, ein bisschen das Bewusstsein der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu erweitern und Polen zu einem selbstverständlichen Bestandteil deutscher Geschichte und Gegenwart werden zu lassen“, wünscht sich Loew. Er setzt auf Neugier - trotz oder gerade wegen der Probleme im deutsch-polnischen Verhältnis seit dem Beginn der nationalkonservativen Regierung in Warschau.
„Die politischen Veränderungen in Polen regen nicht wenige Deutsche dazu an, sich mit Polen zu beschäftigen - und sich zu fragen: Was ist da eigentlich los in diesem Land?“, meint Loew. „Gerade weil es sich jeglicher Kommentierung aktueller Politik enthält, ermöglicht das Buch einem breiten Publikum Einblicke, welche nachhaltige Wirkkraft Menschen abseits der offiziellen Politik von Regierungen entfalten können“, sagt Vogel dazu.
Nicht zuletzt kann die Spurensuche im Lexikon auch eine Entdeckungsreise zu den eigenen Wurzeln sein. „In vielen Deutschen steckt ein bisschen Polen drin“, versichert Loew. Das bekannteste Beispiel dafür dürfte Bundeskanzlerin Angela Merkel sein: Einer 2013 veröffentlichten Biografie zufolge war ihr Großvater ein Pole namens Ludwig Kazmierczak.
Bleibt nur die Frage, ob es irgendwann einen Folgeband zu den deutschen Spuren in Polen kommt. Dort gibt es etwa für besonders gelungene Arbeit schon seit Jahrhunderten das Wort „Majstersztyk“.