Was tut sich in der US-Late-Night?

Los Angeles (dpa) - Hätte ein solches Format im deutschen Fernsehen eine Chance bekommen? Der Moderator am Steuer, Stars als Beifahrer, Gesangsduette in einem Auto?

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Aus den USA geht James Corden, Moderator der „Late Late Show“, mit seinem Carpool Karaoke gerade schlicht durch die Decke. Hunderte Millionen Klicks bei Youtube. In der Late-Night-Szene Amerikas tut sich einiges. Wer seine TV-Shows nicht mit Schmackes ins Internet verlängert, hat es angesichts veränderter Sehgewohnheiten immer schwerer - das merken auch Altmeister wie Stephen Colbert.

In der Rangliste der Late-Night-TV-Quoten liegt Jimmy Fallon („Tonight Show“, NBC) seit vielen Wochen unangefochten vorne. Um Platz zwei rangeln Jimmy Kimmel („Jimmy Kimmel live, ABC) und Colbert („Late Show with Stephen Colbert, CBS). Fallons Führung hat auch inhaltliche Gründe, vor allem aber verknüpft er sein Format aufs Engste mit dem Internet.

Viele Elemente seiner Show sind auf die schnelle Netz-Nutzung und virale Verbreitung zugeschnitten - Klamauk, Varieté, Einspieler. Fallons Youtube-Kanal kommt auf annähernd 11 Millionen Zuschauer. Besonders beliebt sind auch seine Donald-Trump-Imitationen, korrekt in süßlichem Orange geschminkt, die Lippen entschlossen geschürzt.

„Ein jüngeres, digitales Publikum schaut kein klassisches Fernsehen mehr“, sagt James Corden (37). Der Brite, von Haus aus Film-, Theater- und Musicaldarsteller, hatte Jennifer Lopez zum Carpool Karaoke im Auto, dazu Justin Bieber und George Clooney. Vor allem aber Adele: Allein die 15 Minuten Plaudern und Singen mit dem Superstar kommen auf unfassbare 103 Millionen Klicks. Das Format ist authentisch, lässig, ungewöhnlich und schlicht gut gemacht. Das liebt das Netz.

„Corden zündet regelmäßig das ganze Youtube an“, schreibt „Entertainment Weekly“. Der Anfang aber war ziemlich rau, sagt Corden, niemand glaubte an das Format. „Ein Albtraum.“ Bis Mariah Carey neben ihm Platz nahm, und bis Stevie Wonder den endgültigen Durchbruch bedeutete. Corden: „Kein Künstler konnte mehr sagen, dass für ihn nicht gut genug sei, was für Stevie Wonder gepasst hat.“

Die „Late Late Show“ ist eher frei von allem pädagogischen Anspruch, den haben andere. Viele US-Late-Night-Talker senden im Bewusstsein, dass ein wachsender Teil vor allem jüngerer Amerikaner seine politische Bildung vorwiegend aus ihren Shows bezieht. Strategischer Zielkonflikt: entweder Millionen Youtube-Klicks oder politischer Anspruch. Gleichzeitig ist schwer. Das gilt auch für Trevor Noah, Nachfolger des herausragenden Jon Stewart („The Daily Show“), oder für Seth Meyers („Late Night“, NBC).

Noch ist Fernsehen in der Late Night ganz überwiegend männlich, Samantha Bee („Full Frontal“, TBS) zum Trotz. Mit Chelsea Handler ist eine zweite Frau am Start, zumindest drei Mal pro Woche, interessanterweise beim Streamingdienst Netflix. „Chelsea“ soll den Late-Night-Markt endgültig global machen.

Stephen Colbert spürt den Druck aus dem Internet ebenfalls. Sein Online-Publikum ist massiv kleiner als das Jimmy Fallons, rund 900 000 Fernsehzuschauer liegt er Nacht für Nacht hinter ihm. Vor rund neun Monaten folgte er David Letterman nach, und alle dachten: Das Wahljahr 2016, das wird Colberts Jahr. Wurde es aber nicht. Colbert ist oft brillant und von hinreißender Schärfe, sucht aber noch immer seine Rolle, oft ist er vorsichtig und vage. Der ausgleichende Blick auf ein möglichst breites Publikum steht pointierter Satire entgegen.

Dieses Problem ist John Oliver wesens- und programmfremd: Er arbeitet für den Bezahlsender HBO. Seine „Last Week Tonight“, in Teilen bald nach Ausstrahlung Sonntagnacht auch im Netz, ist scharfkantige, böse, hochverdichtete Präzision. Der Brite („Ich bin kein Journalist“) verfügt über ein offenkundig herausragendes Team an Rechercheuren und leistet sich den Luxus, nur einmal pro Woche 30 Minuten zu senden, dann aber richtig in die Tiefe zu gehen. Colbert muss fünf Mal die Woche doppelt so lange ran.

Auch Bill Maher, der Gottlose (Selbstzuschreibung), nimmt sein Publikum nur einmal pro Woche mit in seine „Real Time“, seit 13 Jahren schon, nach neun Jahren ABC. Rücksichtnahme: null. Außerhalb von HBO würden seine Einlassungen reihenweise überpiept werden.

Wer glaubte, solches Fernsehen könne eine Gesellschaft verändern oder zumindest ernsthaften Einfluss auf politische Debatten nehmen, dem hält der „Atlantic“ entgegen: nicht wirklich. Man solle bitte aufhören, die politische Bedeutung von Late-Shows zu überhöhen. Außerhalb eh schon liberaler Zielgruppen nehme solche Zuspitzung niemand wahr. Und wenn doch, aus Versehen, schalte man ab.