Wenn Eheringe das Verbindende verlieren
Mehr als 160 000 Ehen werden pro Jahr geschieden. Und damit stellt sich die Frage: Was wird aus dem überholten Treuesymbol?
Und ich, ich kann nicht schlafen, ohne irgendwas zu nehmen. Und du, stehst längst mit beiden Beinen im neuen Leben, den Blick nach vorn gestellt, als wär’s das Leichteste der Welt.
Silbermond
Düsseldorf. Die Eheringe waren eine Sonderanfertigung, nach eigenen Entwürfen gefertigt von einem befreundeten Juwelier. Palladium-Weißgold, massiv in der Form, mattiert, mit einem eingesetzten kleinen Brillanten — ein teures Symbol für die Ewigkeit. So etwas leistet man sich ja nur einmal im Leben. Dachten sie damals. Aber seit 14 Jahren liegt sein Ring nur noch ungetragen in einem Kros-Kästchen, zusammen mit allerlei Erinnerungsstücken, von denen man nicht so recht weiß, wohin damit.
Tina Zaudig und Christoph Dauben sind voller Vorfreude. Im September wollen sie in Grevenbroich heiraten, die Vorbereitungen laufen schon seit Monaten. Nur in der Ringfrage, da gab es erst einmal keine Einigkeit. „Im Gegensatz zu meiner zukünftigen Ehefrau bin ich in einem Haushalt großgeworden, in dem mein Vater seinen Ehering gar nicht getragen hat“, erzählt Christoph. Wegen ihm könnten sie bei der Eheschließung auch ganz auf den Ringtausch verzichten. „Ich habe mein ganzes Leben noch keinen Schmuck getragen und finde den Gedanken auch eher befremdlich.“
Für Tina dagegen symbolisieren die Ringe die Verbundenheit zwischen zwei Menschen. „Für mich gehört das Anstecken der Ringe zu einer Hochzeit wie das Jawort dazu.“ Noch heute erinnert sie sich an das komische Gefühl, das sie hatte, als ihre Mutter einmal den goldenen Ehering ablegen wollte, weil er nicht zu ihrem sonstigen Silberschmuck passte.
Die Sehnsucht nach dauerhafter Symbolik in Liebesbeziehungen ist groß. Und viel Auswahl gibt es nicht — sieht man von den unzähligen Liebesschlössern an Brücken, Brunnen und Gittern ab. Doch Ringe sind der weltweite Klassiker „und für die meisten Menschen sehr wichtig“, sagt Julia Strecker. Das gemeinsame Aussuchen, das Eingravieren der Namen — die Kölner Theologin und Paartherapeutin erklärt die Bedeutung damit, dass das verbindende Symbol am Körper getragen werde. „Das ist eine leibhaftige Erfahrung.“
400 000 Paare haben 2015 geheiratet, gut 160 000 Ehen wurden im selben Jahr geschieden. Von allen in einem Jahrgang geschlossenen Ehen endet jede dritte in den Jahren bis zum Erreichen der Silberhochzeit vor dem Scheidungsrichter. Und so wuchtig die Symbolik zu Beginn der Liebesbeziehung ist, so marginal scheint ihre Bedeutung, wenn die Beziehung zerbricht. Als sei einem auf einmal peinlich, was man zuvor an Gefühlen in die Ringe projiziert hatte. Zurück bleibt: Ernüchterung.
Andrea Leyhausen kennt die ganze Skala der Emotionen, wenn es um Ringe geht. Die Burscheider Goldschmiedin stellt sie schließlich selbst her. Und sie bekommt ihre Werke auch wieder auf den Tresen gelegt, wenn die Liebesglut erloschen ist. Als Altgoldankäuferin wie andere Kollegen bietet sie sich zwar nicht an, wohl aber als Wandlerin. Dann wird der alte Ehering umgearbeitet oder komplett eingeschmolzen und für ein neues Schmuckstück genutzt.
Aber selbst die routinierte Begleiterin der Höhen und Tiefen von Paarbeziehungen war dann doch erstaunt, als vor wenigen Wochen ein angehendes Traupaar vor ihr stand und die Frau ihren alten Ehering auf den Tisch legte als Basis für die neuen. „Sie hat das ganz nüchtern und ohne Emotionen gesehen und war der Ansicht, der Ring aus ihrer vorigen Ehe sei gut verwendet für die neuen Ringe.“
Männer gehen nach Leyhausens Beobachtung auch schon mal noch pragmatischer vor: „Dann wird die alte Gravur entfernt und ein neuer Name eingraviert, um den Ring als Verlobungs- oder Schmuckring weiternutzen zu können.“ Aber auch wenn am Ende einer Beziehung mitunter viel Trauerarbeit notwendig ist: Während Witwer und Witwen so gut wie immer die ursprünglichen Ringe erhalten, geht es Geschiedenen meist darum, dem alten Symbol eine neue Form zu geben.
Sehr viel mehr Ringe, glaubt Leyhausen, würden nach der Trennung aber schlicht und einfach für meist deutlich weniger Geld als bei der Anschaffung verkauft. Dann muss der Händler allerdings viele Ringe sammeln, ehe es sich lohnt, ein — ja, so heißt das — Scheideverfahren zu bemühen. Scheideanstalten wie die Degussa trennen das Altgold in einem aufwendigen Prozess wieder in seine Elemente Feingold, Feinsilber und Legierkupfer — Rohmaterial für neue Liebesträume.
Nur ganz selten nutzen Paare die Ringe auch noch einmal, um einen Abschluss für ihre Beziehung zu finden. Paartherapeutin Strecker bietet Trennungsrituale an, oft nachgefragt werden sie nicht. Aber in einem Fall wurden die Ringe von einem Paar noch einmal integriert in einen gemeinsamen Weg, ehe sie eingeschmolzen und der Erlös an ein Projekt gestiftet wurde.
„Trennungsrituale dienen der Vergewisserung, dass man weiter verbunden bleibt, zum Beispiel über die gemeinsamen Kinder, aber eben nicht mehr als Liebespaar“, sagt Strecker. Ein anderes Ehepaar habe sich dazu entschieden, die Ringe aufzubewahren und später an die Kinder zu verschenken — als Erinnerung an die Gemeinschaft, aus der diese Kinder einst hervorgegangen sind.
In diesen Momenten scheint etwas davon durch, was die Düsseldorfer Familienanwältin und Mediatorin Heike Surkamp für unerlässlich hält, um einen Rosenkrieg zu vermeiden: „Die Wertschätzung des anderen.“ Mit Empathie sei in der Trennungsphase viel Frieden zu sichern. Wer spürt, dass der andere zu schätzen weiß, was man selbst an Gelingendem zu der einstigen Beziehung beigetragen hat, der ist viel schneller bereit, nicht alle Brücken einzureißen.
Als Mediatorin geht es Surkamp darum, wieder Kommunikation zwischen den zerstrittenen Ehepartnern zu ermöglichen. Die Symbolebene der Eheringe spielt dabei kaum eine Rolle. „Nur einmal hat eine Mandantin gesagt, sie trage ihren Ehering weiter, weil sie eine friedliche Trennung wolle, obwohl der Mann gerade mit einem Kleinkrieg anfange.“ Ansonsten gilt auch hier: Das Treuesymbol hat seine Kraft verloren.
Dabei gründet es auf jahrtausendealten Traditionen. Zwei Ringe nebeneinander bilden die Acht, seit alters her Bild für die Unendlichkeit. Schon im antiken Rom trugen Frauen Ringe als Zeichen der Verbundenheit zu ihren Männern. Obwohl nicht christlichen Ursprungs und auch biblisch nicht erwähnt, griff die Kirche den Brauch auf und integrierte ihn in ihre Hochzeitsliturgie. Der Ringtausch — ob vor dem Altar oder im Standesamt — ist fester Bestandteil des Hochzeitszeremoniells.
Tina und Christoph haben sich ihre Ringe inzwischen bei einem Juwelier in Düsseldorf ausgesucht. Die Gravur des Namens in den Ring des jeweils anderen erfolgte in der eigenen Handschrift. Und auch eine Mini-Weltkarte als Zeichen für die Offenheit gegenüber anderen Kulturen und Menschen hat noch Platz gefunden.
Und plötzlich, bei der Anprobe, verspürte auch Christoph „ein schönes Gefühl“. Als später die Mail eintraf, dass die Ringe fertig seien, „setzte wieder große Vorfreude bei mir ein“. Auch wenn seine künftige Frau überzeugt ist, „dass es nur ein Symbol ist und man eigentlich viel tiefer im Herzen miteinander verwurzelt sein wird, als das ein Ring zum Ausdruck bringen könnte“.