Moderne Mumien Wie Tiefkühlexperten den Sensenmann besiegen wollen

Ulm/Senden (dpa) - Wenn für Klaus Sames alles wie geplant läuft, wird er eines Tages in Amerika in einem Edelstahlbehälter mit dem Kopf nach unten hängen.

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In seinen Adern wird sich kein Blut mehr befinden, sondern eine mit Forstschutzmitteln durchsetzte glasartige Substanz. Und der Körper des emeritierten Professors wird umhüllt sein von flüssigem Stickstoff. Temperatur: minus 196 Grad Celsius. „Und zwar solange, bis man mich wiederbelebt“, sagt der 79-Jährige Altersforscher. „In 100, 200 oder mehr Jahren, bis die Wissenschaft soweit ist.“

Noch erfreut sich der Professor mit den weißen kinnlangen Haaren in seinem bayerischen Wahlheimatstädtchen Senden guter Gesundheit. Der Sensenmann solle sich gedulden: „Ich mag das Leben, ich lese viel und wandere gern.“ Meist aber beschäftigt sich Sames mit der Kryonik, der Tiefkühlkonservierung von Organismen, Organen und ganzen Lebewesen.

Der Vater der Kryonik, der US-Physiker Robert Ettinger, erlangte 1962 mit seinem Buch „The Prospect of Immortality“ (etwa: Die Aussicht auf Unsterblichkeit) Berühmtheit: Gestorbenen, so Ettinger, könne in der fernen Zukunft neues Leben eingehaucht werden, sofern man sie rasch auf Tiefsttemperatur herunterkühlt. Nicht wenigen Menschen war das einen Versuch wert. Kosten: bis zu 200 000 Dollar (170 000 Euro). Ergebnis: offen.

Rund 250 Tote - Kryoniker nennen sie Patienten - „schlummern“ in zwei amerikanischen Non-Profit-Instituten in Containern, unter ihnen mehrere Deutsche. Etwa 50 solcher modernen Mumien sollen es zudem in einer russischen Einrichtung sein. In Deutschland ist das nicht gestattet. Dass der Kopf von Kryokonservierten jeweils unten ist, macht Sinn: Falls mal nicht genügend Stickstoff nachläuft, sollen lieber die Füße geschädigt werden als das Gehirn.

Ettinger kam 2011 nach seinem Tod im Alter von 92 Jahren in dem von ihm gegründeten Cryonics Institute in Detroit (Michigan) in den Stickstoff-Container, auch seine zwei Ehefrauen wurden tiefgefroren. „Mancher fragt sich“, sagt Sames augenzwinkernd, „was geschehen mag, wenn man die Gattinnen zur gleichen Zeit auftaut.“

Sames, 1939 in Kassel geboren, studierte zunächst Theologie. „Da wurde mir klar, dass ich nicht in den Himmel komme.“ Er wandte sich der Medizin zu, wurde Anatom und Altersforscher. Mit der Kryonik beschäftigt sich der promovierte Arzt tiefgründig seit seiner Pensionierung.

Dass Kryoniker nur eine kleine Schar von Enthusiasten sind - „wohl einer auf eine Million“ - hält den Professor keineswegs von dem Thema ab. Auch nicht Kritik oder Spott. Etwa der ätzende Hohn des US-Biologen Arthur Rowe: „Zu glauben, dass Kryoniker jemanden wiederbeleben können, ist wie der Glaube daran, dass man aus einem Hamburger wieder eine Kuh machen kann.“

Doch der Spruch liegt Jahrzehnte zurück. Seitdem hat sich die Kryonik - wenngleich sie nicht als Wissenschaft anerkannt ist - ebenso weiterentwickelt wie etwa die Reproduktionsmedizin. Kryoniker verweisen darauf, dass es heute Tausende von Menschen gibt, die aus tiefgefrorenen Embryonen entstanden sind.

Tatsächlich werden Embryonen und befruchtete Eizellen seit Jahren in flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad aufbewahrt. „Die Methode hat sich bewährt“, sagt Professorin Katharina Hancke, Expertin für Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der Uniklinik Ulm. Sie ist keine Kryonikern, aber immerhin „relativ zuversichtlich“, dass die Wissenschaft eines Tages die komplexen Prozesse des Einfrierens und Auftauens menschlicher Körper beherrschen könnte. „Dennoch bleibt ja die große Frage bestehen, ob man überhaupt Tote wiederbeleben kann.“

Vorstellbar, sagt Sames, sei das überhaupt nur bei Körpern, die nach dem Herzstillstand schnell und fachgerecht eingefroren werden. Die Abläufe trainiert er im ehrenamtlichen „Ulmer Kryonik-Notfallteam“. Zu der kleinen Gruppe Gleichgesinnter gehören Sames zufolge ein Balsamierer, ein Kardiotechniker, eine Krankenschwester sowie Mediziner und ein alteingesessener Ulmer Bestatter.

„Wir sind heute so weit, dass wir eine komplette Kryonik-Versorgung bis zum Transport nach Detroit bieten können“, sagt der Professor. „Aber unser Projekt bräuchte dringend Förderung, wir suchen Sponsoren und Räumlichkeiten.“ Zur Ausstattung gehören - neben Pumpen, Schläuchen, OP-Geräten, Chirurgenbestecken und Medikamenten - neuerdings auch Computeruhren. Eine davon trägt Sames ständig am Arm. „Wenn mein Herz stehen bleibt, alarmiert sie die anderen.“

Das Prozedere entspricht den Maßgaben des Cryonics Institute, wo Sames sich für 30 000 Euro einen Platz im „Rettungswagen in die Zukunft“ gesichert hat: Das Team rückt mit 60 Kilogramm Eis an. Das Blut wird aus dem Körper gepumpt und durch Frostschutzmittel ersetzt. Der „Patient“ bekommt Medikamente gespritzt, mit denen Zellmembranen geschützt werden und die Blutgerinnung verhindert wird. In Trockeneis (- 78 Grad) wird er nach Detroit geflogen, wo das Herunterkühlen auf minus 196 Grad und die Lagerung erfolgt.

Wann das zweite Leben beginnen könnte, ist völlig unklar. Bislang würde jeder Auftauversuch zur Zerstörung führen. Eiskristalle, deren Bildung kaum zu verhindern ist, würde Gewebe zerreißen, die toxischen Bestandteile des Frostschutzmittels würden den Körper vergiften. „Irgendwann wird das beherrschbar sein“, glaubt Sames. „Ich freue mich jetzt schon auf die vielen Bücher, die ich in meinem ersten Leben nicht mehr lesen kann.“