Gewalt und Missbrauch: Kinderärzte schlagen Alarm

2015 wurden mehr als 3900 Kinder Opfer von Gewalt, 130 starben an den Folgen. Mediziner fordern Kinderbeauftragten im Bundestag.

Laut BKA wurden 2015 mehr als 3900 Kinder körperlich misshandelt und 14 000 Opfer sexueller Gewalt.

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Berlin/Düsseldorf. Der Verband der Kinder- und Jugendärzte fordert ein härteres Vorgehen beim Thema Gewalt gegen Kinder. Dazu sprechen sich die Ärzte unter anderem für die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz aus, ebenso wie für einen Kinderbeauftragen im Bundestag, der sich für die Rechte der Kinder einsetzt. Der Düsseldorfer Kinderkardiologe und Sprecher des Berufsverbands, Hermann Josef Kahl sagte, Gewalt gegen Kinder sei ein „ungelöster Skandal“.

Der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte Thomas Fischbach erläuterte: „Elf Kinder werden jeden Tag so schwer körperlich oder seelisch misshandelt, dass diese Fälle in der Kriminalstatistik auftauchen“. Fischbach unterstrich: „Tote Kinder sind die äußerste Katastrophe.“ Das Bundeskriminalamt (BKA) zählte in einer aktuellen Statistik 130 getötete Kinder im vergangenen Jahr — eine Zunahme von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 85 der 130 getöteten Kinder waren unter drei Jahre alt - die Gruppe, die durch das Bundeskinderschutzgesetz von 2012 besonders geschützt werden sollte. Kahl sagte, das Gesetz sei ein Schritt in die richtige Richtung. Es fehle aber an Aufklärung über Hilfsangebote und Zusammenarbeit mit Behörden.

Der Verband fordert bessere Instrumente zur Früherkennung von Problemfällen. Kahl: „Wir müssen Wege finden, um zu sehen, wo es brennt, ohne gleich Polizei und Jugendamt einschalten zu müssen.“ Als Beispiel nannte er etwa einen Fragebogen, den Mütter bei den Vorsorgeuntersuchungen mit ihren Kindern ausfüllen könnten. „Es geht um sieben oder acht Fragen aus dem psychosozialen Bereich“, sagte Kahl. Das könne Grundlage für ein Gespräch sein, schon bevor etwas passiere. Laut Kahl haben die Krankenkassen diesen Fragebogen abgelehnt und das Bundesministerium für Gesundheit dem nicht widersprochen. Er sieht beide Seiten in der Pflicht zu handeln.

Die Gründe für Gewalt: Armut und Überforderung

Die Hauptgründe für Gewalt gegen Kinder seien Armut, die Überforderung sehr junger Eltern und das Affektverhalten von Männern, teils unter Alkoholeinfluss. Die meisten Misshandlungen passierten vor dem Hintergrund sozialer Probleme, die sich lösen ließen, wenn sie erkannt würden. Viele Eltern würden ihre Kinderärzte bei den Vorsorgeuntersuchungen aber nicht darauf ansprechen aus Angst vor einer Meldung beim Jugendamt. Ihnen fehle es an zentralen Informationen über anderweitige Hilfsangebote.

Der Verband mahnt eine engere Zusammenarbeit zwischen Kinderärzten und Jugendämtern an. „Wir brauchen regionale Ansprechpartner, die auch nach 16 Uhr und am Wochenende erreichbar sind“, forderte Kahl. Zudem sollen angehende Ärzte im Studium auf Gewalt gegen Kinder vorbereitet werden und zentrale Kernbotschaften über die Institutionen hinweg verbreitet werden — das habe schon beim plötzlichen Kindstod funktioniert, sagte Kahl. Das sei ebenfalls beim Thema Gewaltvermeidung denkbar. Laut BKA wurden 2015 mehr als 3900 Kinder körperlich misshandelt, 14 000 wurden Opfer sexueller Gewalt. AFP/dpa/ecr