Gläubige gehen auf Tuchfühlung mit Gott

In Aachen werden alle sieben Jahre vier kostbare Reliquien gezeigt.

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Aachen. Der Marienschrein im Aachener Dom birgt vier Heiligtümer: „Der Überlieferung nach“ handelt es sich um das Kleid Marias, „die sogenannten Windeln Jesu“, das Enthauptungstuch des heiligen Johannes des Täufers und das Lendentuch Jesu — die Wortwahl des Bistums scheint mit Bedacht gewählt. Sind die Heiligtümer echt? Bei der alle sieben Jahre stattfindenden Wallfahrt jedenfalls werden die Heiligtümer gezeigt und — noch bis Sonntag — von Pilgern verehrt.

Die Echtheit ist wissenschaftlich nicht belegt, spiele aber auch keine Rolle, sagt Bischof Heinrich Mussinghoff. „Die biblischen Tuchreliquien wollen uns Erinnerungsstücke sein. Über die historische Echtheit wird man auch in hundert Jahren noch streiten können.“ Mit einer Isotopenuntersuchung könnte man das Alter der Stoffe genauer bestimmen. Aber da dabei winzige Stoffteilchen der Reliquien verloren gingen, wird das nicht gemacht.

Die kostbaren Stücke liegen in einer komplizierten Verpackung: in Seide gewickelt, in Schmucktuch gehüllt, in eine Stofftasche mit Goldknöpfen gelegt, in eine zweite eingenäht. Der dazu gehörende Goldfaden ist 400 Jahre alt und 2,40 Meter lang. Beim Eröffnungsgottesdienst der Heiligtumsfahrt zerschlägt ein Goldschmied das Schloss am Marienschrein, die Heiligtümer werden entnommen.

Über die Echtheit der Reliquien macht sich Monica Vroon keine Gedanken: „Es ist nicht wichtig, das zu wissen.“ Für sie ist es die dritte Heiligtumsfahrt. Seit Jahrhunderten pilgern die Menschen nach Aachen, viele in der Hoffnung auf Hilfe oder Heilung. „Ist das nicht genug?“, fragt die 54-Jährige. Das Lendentuch Jesu hat in früheren Zeiten auf unzähligen Köpfen von hoffenden Kranken gelegen. „Das ist sehr befleckt. Aber das gehört doch dazu“, sagt Vroon. Auch auf dem Enthauptungstuch Johannes des Täufers gibt es Blut- und Verwesungsflecken.

„Die Echtheit ist keine naturwissenschaftliche Frage, sondern eine Frage des Glaubens“, sagt Bischof Mussinghoff. Kaum jemand hat das Wesen dieser Wallfahrt so auf den Punkt gebracht wie Mussinghoffs Vorgänger Klaus Hemmerle: Die Menschen gingen auf Tuchfühlung mit Gott. Monica Vroon weiß, wie wörtlich das zu verstehen ist.

Als einzige Reliquie wird das Kleid Marias ausgefaltet und auf einer Stange hängend zu den Messen durch die Pilgerreihen getragen. „Die Leute berühren es. Ich verstehe, dass die das machen“, sagt Vroon, auch wenn dieser Stoff empfindlich reagiert. Er musste schon geflickt werden.