Glaubenskrieg um Freihandel - Kulturvielfalt in Gefahr?

Berlin (dpa) - Selten war sich die Kulturszene landauf, landab so einig. Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA gefährdet die kulturelle Vielfalt in Deutschland, befürchten Kritiker.

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Die Identität der Kulturnation Deutschland stehe auf dem Spiel.

Inzwischen hat sich die Debatte fast zu einem Glaubenskrieg ausgewachsen. Worum geht es?

Seit etwa einem Jahr verhandeln die EU und die USA über ein Freihandelsabkommen, das Zölle und andere Handelsbarrieren abbauen soll. Im Bereich der Kultur stünde damit das umfangreiche System von öffentlicher Förderung auf der Kippe, das viele Kultureinrichtungen in Deutschland überhaupt erst möglich macht. Die amerikanische Unterhaltungsindustrie könnte die Subventionen als ungerecht verklagen oder gar Schadenersatz fordern.

„Wir haben im Kulturbereich massenhaft Förderstrukturen, die marktverzerrend sind“, sagt Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, der mehr als 200 Bundeskulturverbände vertritt. „Aber das ist kein Betriebsunfall. Das ist gewollt, weil es unsere Vielfalt erhält. Mit Einfalt lässt sich jedoch mehr Geld verdienen.“

US-Musicalproduzenten etwa könnten deutschen Opern und Theatern den Garaus machen, so das Horrorszenario. Universitäten und Volkshochschulen drohe neue kommerzielle Konkurrenz. Und das öffentlich-rechtliche Fernsehen, mit staatlich verordneten Gebühren von 7,5 Milliarden Euro versorgt, müsse sich der amerikanischen TV-Riesen erwehren.

Zwar hat Frankreich im Interesse seiner heimischen Filmindustrie durchgesetzt, dass der „audiovisuelle Bereich“ von den Verhandlungen ausgenommen wird. Nach Angaben des Kulturrats ist aber keineswegs definiert, ob auch das Fernsehen darunterfällt. „Uns droht eine Amerikanisierung des gesamten Kulturbereichs“, warnt die Berliner Theaterwissenschaftlerin Prof. Erika Fischer-Lichte im dpa-Gespräch.

Besondere Sorgen macht den Verantwortlichen der befürchtete Wegfall der Buchpreisbindung. „Ohne festgelegten Preis würden Bestseller in Baumärkten, Tankstellen oder von Amazon extrem billig angeboten, andere Titel aber nicht“, sagte kürzlich der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Alexander Skipis. Gefährdet seien nicht nur die Buchhändler vor Ort, sondern mittelfristig auch kleine und mittlere Verlage.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) fordert - anders als die bisher schweigende Kanzlerin - bei den Freihandelsgesprächen zur „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) für die Kultur eine Ausnahme. „Kultur ist keine Handelsware“, betont sie immer wieder.

Angesichts des Gegenwinds versuchte der EU-Handelskommissar Karel de Gucht im Juni demonstrativ, die Bedenken zu zerstreuen. Er würde „niemals ein Abkommen aushandeln oder einem solchen zustimmen“, das etwa die Buchpreisbindung oder den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedrohe, versicherte er in der „Zeit“. „Kein von der EU abgeschlossenes Handelsabkommen hat dies jemals infrage gestellt.“

Allein, den Kulturträgern fehlt der Glaube. „Solange wir das nicht schwarz auf weiß sehen, müssen wir vom worst case ausgehen“, sagt der Kulturrats-Vertreter Zimmermann. Wie zahlreiche andere Verbände wirft er den Verantwortlichen „Geheimniskrämerei“ vor. Selbst grundlegende Dokumente würden nicht veröffentlicht. „Wenn wirklich alles so gut ist, wieso legen sie dann die Karten nicht auf den Tisch?“

Für den Berliner Soziologen Prof. Dieter Haselbach steckt hinter dem einhelligen Nein der Kulturszene allerdings ein anderer Grund. „Die Verbände wollen nicht, dass über unser Fördersystem diskutiert wird“, sagte der Kulturforscher der dpa. „Alles ist einzigartig und gut und soll auf ewig so bleiben, wie es ist. Und deshalb verbreiten sie jetzt eine panische Angst.“

Haselbach hatte sich schon vor zwei Jahren als Mitautor des umstrittenen Buches „Der Kulturinfarkt“ für eine offene Diskussion über die staatlichen Kultursubventionen eingesetzt. Er erntete allerdings nur einen Aufschrei des Entsetzens.

Der Kulturrat will nun bei TTIP (sprich: Titip) die Reißleine ziehen. Er unterstützt eine europaweite Bürgerinitiative, die von September an mindestens eine Million Unterschriften für einen Stopp des Abkommens sammeln will. Zimmermann ist überzeugt: „Der beste Weg, TTIP zu retten, ist, es komplett neu zu verhandeln.“