Gourmet-Tempel „Lorenz Adlon Esszimmer“: Mit Pinzette und Pizzaschaufel

Der „Guide Michelin“ und der „Gault Millau“ bewerten die besten Küchen Deutschlands. Dafür schuften Sterneküchen wie der Gourmet-Tempel „Lorenz Adlon Esszimmer“ in Berlin.

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Berlin. Mit einer Pinzette verpasst Hendrik Otto seinem Werk den letzten Schliff. Rundherum lärmt es wie in einer Fabrik. Geschirrwagen nehmen scheppernd Fahrt auf, es zischt und dampft. Nur in der Mitte des gefliesten Raums, an einer Theke aus dunklem Granit, läuft alles wie in Zeitlupe. Hendrik Otto beugt sich über einen riesigen weißen Teller. Eingehend betrachtet er unter der Wärmelampe das kleine Stück Stör im Teller.

Vorsichtig setzt der Koch mit seiner Pinzette Kapern und winzige Kräuter-Blättchen auf den Fisch. Aus einem Fläschchen drückt er leuchtend rote Kleckse auf den Stör, daneben legt er ein paar Körnchen Kaviar. Langsam wächst das kunstvolle Gebilde in die Höhe. Stirnrunzelnd betrachtet er sein Werk.

Mit der schaumigen grünen Soße, die herrlich nach Räucherspeck schmeckt, ist Hendrik Otto nicht zufrieden. „Noch mehr Bohnen rein“, ruft der Küchenchef des „Lorenz Adlon Esszimmer“ und legt den Löffel beiseite. Für sein Essen zeichnete der Restaurant-Führer „Guide Michelin“ Hendrik Otto mit zwei von drei möglichen Sternen aus. Es sei eine „hervorragende Küche, die einen Umweg verdient“.

Nur wenige Restaurants in Deutschland erhalten diese Auszeichnung. Die Bewertung lockt illustre Gäste mit hohen Ansprüchen. Und sie bedeutet Druck. In Berlin ist die Dichte der Sterne-Restaurants besonders hoch. „Es ist ein täglicher Wettkampf“, sagt der 40-jährige Otto.

Etwa zweimal im Jahr sitzen anonyme Testesser unangemeldet im Restaurant. Aber man weiß nie, wann. Er hat die Pinzette gegen eine Art Pizzaschaufel getauscht und rührt mit aller Kraft in einem Becken voller Bouillabaisse. Der Duft von Thymian steigt auf. „Diese Sterne-Geschichte ist für Köche etwas, dass sie weiterbringt und Aufmerksamkeit bringt.“

Anfang November veröffentlichten die bekannten Restaurantführer, der „Guide Michelin“ und der „Gault Millau“, ihre Bewertungen. „Wir performen das ganze Jahr gut, und an dem einen Tag sitzt dann der Tester draußen“, beschreibt Otto den Druck, der auf dem ganzen Team lastet. Leerlauf oder schlechte Momente können sie sich nicht leisten. Regelmäßig muss er neue Kreationen auf den Teller bringen. „Du weißt, du musst Minimum das gleiche Produkt, wenn nicht ein besseres hinbekommen.“ Dennoch liebt er seinen Job. „Wenn ich daraus nicht meine Befriedigung ziehe, würde ich das nicht machen.“

Die Leidenschaft des Starkochs entstand aus eher praktischen Überlegungen: Zur Wende ist Hendrik Otto gerade 14 Jahre alt. Rund um die Heimat in Sachsen-Anhalt gehen die Betriebe kaputt. Der Vater hält dem Jungen Berichte über den französischen Starkoch Alain Ducasse unter die Nase. Gegessen werde immer, sagt er, und auch in diesem Beruf könne man erfolgreich sein. „Er wollte, dass ich im Leben was sehe und ein bisschen rumkomme“, sagt Otto und rührt in der Bouillabaisse. Hendrik Otto ist Mitte 20, als der „Michelin“ seine Kreationen zum ersten Mal mit einem Stern auszeichnet. „Ich war überwältigt von der Aufmerksamkeit und der Presse. Mit 30 wollte ich Küchenchef sein. Das war ich dann mit 27.“

Seit vier Jahren steht Otto jetzt in der Küche des „Lorenz Adlon Esszimmer“. Der Restaurantführer „Gault Millau“ führte das Restaurant mehrfach in einer der höchsten Kategorien. „Die Küche des sympathischen Chefs Hendrik Otto ist detailverliebt und sehr verspielt“, schrieb ein Kritiker 2013. Nicht immer ist der „Gault Millau“ so wohlwollend. Über andere Restaurants wird auch mal hergezogen. Und auch wenn die Köche selbst und manche Esser ein Urteil ungerecht finden — nicht wenige Feinschmecker richten sich danach, wenn sie ihre Lokale aussuchen.

In der Küche schiebt sich Hendrik Otto eine Tomate in den Mund und nickt. Fünf verschiedene Sorten hat der Sternekoch versucht, diese ist in Ordnung. Allein der Warenbestand des Restaurants ist etwa 20 000 Euro wert, die Küche hat einen eigenen Kräutergarten. Geschmack und Optik müssen stimmen, deswegen kontrolliert Otto die Gerichte, bevor sie dem Gast vorgesetzt werden. So gehen geschmorte „Rippenstücke vom Nebraska-Rind“, „Creme-Eis von Lorbeer“ oder Wachtelessenz noch einmal zur letzten Prüfung durch seine Hände, bevor sie draußen auf den edel gedeckten Tischen landen. Die Gäste sollen über das Essen sprechen und sich Gedanken machen. „Das ist wie ein Opernbesuch.“

Mittlerweile kocht er aber nicht mehr jede Soße selbst. „Früher war für mich alles Chefsache.“ Jetzt verlässt er sich mehr auf sein Team. Zehn junge Köche arbeiten in Hendrik Ottos Team, er hat jeden von ihnen ausgesucht. „Diese Mannschaft ist immer mit mir da. Das ist wie ein Fußballteam“, sagt Otto. „Ich sehe mich als Trainer.“ Sie sind stolz, hier zu kochen. Auch wenn der Job Gift ist für das Privatleben.

Lange Arbeitszeiten bis in die Nacht, das Wochenende beginnt erst am Sonntag. Auch in der Freizeit sei die Suche nach Geschmack immer im Hinterkopf, sagt Otto und erzählt von geschmortem Spanferkel mit Kichererbsen im Urlaub. „Wenn ich spazieren gehe und sehe eine Apfelsorte, geht sofort die Alarmglocke an.“ Was er sagen würde, wenn seine Tochter einmal Köchin werde möchte? „Auf keinen Fall“, ruft Otto und lacht.