Graue Haare, große Songs: Paul Weller reloaded
Berlin (dpa) - Seine letzten Alben ließen viele ratlos zurück: War Paul Weller dabei, sich auf der Suche nach modernerem Sound zu verzetteln? Die neuen Songs dürften es den meisten Fans der Britrock-Legende wieder recht machen.
Aufs Altwerden verspürt Weller keine Lust. Zumindest was seine Musik betrifft - die soll immer so frisch und dynamisch bleiben, wie man es von einem der Punk-Urväter erwartet. Auch mit dem neuen Album „Saturns Pattern“ (Parlophone/Warner) verströmt er jede Menge raue Energie und klingt dabei so zugänglich und konzentriert wie schon lange nicht mehr. Von kreativer Flaute also keine Spur in den neun aktuellen Weller-Songs zwischen klassischem Brit-Rock, sehnsüchtigem Soul und (überschaubaren) Psychedelia-Experimenten.
Ansonsten hat der Gründer von The Jam und The Style Council, seit 25 Jahren auch solo sehr erfolgreich, offenkundig keine Probleme, zu seinem fortgeschrittenen Alter zu stehen. Ende Mai wird der stets schnieke gekleidete, ohne Alkoholexzesse jetzt noch fittere „Modfather“ immerhin bereits 57. „Es dauerte einige Zeit, bis ich mich in meiner Haut so richtig wohlfühlte“, bekannte Weller kürzlich im Interview von „The Scotsman“. „Es gibt natürlich ein paar Dinge am Älterwerden, die ich nicht so mag, etwa Falten oder graue Haare. Aber das Alter hat auch den Vorteil, dass man sich nicht mehr um alles scheren muss, was andere Leute denken.“
Die so erworbene Rücksichtslosigkeit gegenüber Fans und Popkritik hatte Weller zuletzt zu drei seiner wagemutigsten, aber auch schwierigsten Werke angestachelt: Das ausufernd-unentschlossene „22 Dreams“ (2008), die ruppige Politikfrust-Platte „Wake Up The Nation“ (2010) und das unbehaglich lärmende, missglückte „Sonic Kicks“ (2012) drückten einen etwas krampfhaften Modernisierungswillen aus, schafften es aber trotz fehlender Single-Hits an die Spitze der britischen Album-Charts.
Nein, man wünschte sich nicht unbedingt den zeitweise geschmähten „Dadrock“-Sound seiner 90er-Jahre-Klassiker „Stanley Road“ oder „Heavy Soul“ zurück - aber ein wenig wärmer und freundlicher sollte Weller im reifen Alter dann doch klingen. Die Kritik an seinem stilistischen Zickzack-Kurs scheint ihre Wirkung nun auch nicht ganz verfehlt zu haben.
Schon mit „White Sky“, dem Opener des neuen Albums, findet er die goldrichtige Mischung aus Gitarrenwucht und starker Melodie, die zuletzt oft gefehlt hatte. Das von einem imposanten Klavier-Riff angetriebene Titelstück dürfte auch live eine Zierde sein. Und mit „Going My Way“ erweist sich Weller wieder einmal als sensibler Sänger für tief empfundene Balladen ohne jede Kitsch-Absturzgefahr.
Auch das am 70er-Jahre-Glamrock orientierte „Long Time“ und „Pick It Up“ machen klar, warum Paul Weller sein neues Album im Interview als „freudvoll und positiv“ bezeichnet. „Ich versuche immer, mich vorwärts zu bewegen“, sagt der zumindest in England längst legendäre Sänger, Gitarrist und Pianist über seinen unermüdlichen künstlerischen Ehrgeiz. „Aber manchmal braucht man natürlich auch etwas Glück, damit alles passt.“
Bei dem mit vielen jungen Bewunderern eingespielten „Saturns Pattern“ passte wohl so einiges. Schwachpunkte vorheriger Alben wie Krautrock-Exkursionen findet man hier nicht. Und mit dem achtminütigen Schlusspunkt „These City Streets“ - zugleich Liebeslied und Ode an London, „die großartigste Stadt dieses Planeten“ - gelingt Weller gar einer der besten Songs seiner fast 40-jährigen Karriere: eine milde, melancholische Soul-Jazz-Melodie mit feinen Soli und dezenten elektronischen Effekten, wunderbar entspannt gesungen von einem Britrock-Star auf der Höhe seiner Kunst.