Große Ausstellung über das Pina Bausch Tanztheater
Bonn (dpa) - Bei der 121. Frage wurde es den Tänzern langsam zu viel. „Ich frage immer nach Weihnachten“, verriet die Choreographin Pina Bausch 1982 in einem Interview. „Gestern habe ich gefragt, ob jemand schon mal aus Angst in die Hose gemacht hat.“
Die legendäre Tanzkünstlerin begann das Einstudieren eines neuen Stücks immer damit, ihren Tänzern einen Haufen Fragen zu stellen. Kleine Sequenzen wurden dann daraus und später die berühmten collagenartigen Stücke. Pina Bausch aber hatte immer Angst anzufangen.
Diese und andere intime Einblicke in die Arbeit der 2009 gestorbenen Choreographin bekommt man in der ersten großen Ausstellung zum Werk von Pina Bausch in der Bonner Bundeskunsthalle - und in einem Begleitbuch mit Interviews, die sie seit ihren Anfängen 1973 in Wuppertal bis 2008 gab. Darunter ist eines der wohl einfühlsamsten Interviews ausgerechnet im Fernsehen, das der kürzlich gestorbene Roger Willemsen in seiner Talkshow 1998 mit Pina Bausch führte.
Beide - Buch und Ausstellung - bürsten das Werk eigentlich gegen den Strich. Denn erstens war Reden „nicht so das Ding“ von Pina, wie ihre Tänzer heute noch sagen. Und zweitens will eine verjüngte Compagnie mit einer neuen Führung auf der realen Bühne Pinas Tanztheater davor bewahren, museumsreif zu werden.
Auch den Ausstellungsmachern war die Gratwanderung bewusst. „Wir wollten den Tanz nicht nur mit Fotos und Videos dokumentarisch darstellen, sondern auch die reale Ebene in die Ausstellung holen“, sagt Bundeskunsthallen-Intendant Rein Wolfs. Die „performative“ Schau wandert Mitte September weiter nach Berlin in den Martin-Gropius-Bau.
Die Ausstellung ist gleichzeitig eine Vorstellung, bei der die Besucher mitmachen dürfen. Denn das Herzstück ist ein originaler Nachbau der „Lichtburg“, des Probenraums in einem alten Wuppertaler Kino, wo die Compagnie seit Ende der 1970er Jahre bis heute probt.
In dem Nachbau kann man zum Beispiel in einem Workshop bei Josephine Ann Endicott, Tänzerin der ersten Stunde in Wuppertal, Szenen aus dem Stück „Nelken“ einstudieren. In einem dichten Programm verwebt die Ausstellung die Dokumentation des Werkes von Pina Bausch mit Live-Performances, Workshops, „Warm-ups“ und öffentlichen Proben der realen Compagnie.
Was auf der Bühne so leicht aussieht und gar nicht wie Tanz, wird beim Selbstversuch zu einer komplizierten Bewegungsherausforderung. Endicott führt mit Leichtigkeit vier kleine Handbewegungen passend zu den vier Jahreszeiten vor, die Besucher sollen sie zwischen Ballettstangen, Spiegeln und Kostümen nachmachen. „Was hier noch fehlt, ist der Geruch von Schweiß und Hamburgern aus dem McDonalds-Restaurant unter dem Kino“, sagt Endicott. Mit fast 66 ist die einstige Assistentin Pinas jetzt „in Rente“ und gibt Bausch-Stücke an die Pariser Opern-Compagnie weiter.
Dennoch wird auch das Werk Pina Bauschs in einer Vielzahl von bisher unveröffentlichten Dokumenten, Fotos und Videos erfahrbar. Akribisch sammelte die Solinger Gastwirtstochter Programmhefte und Plakate. Dass sie in ihren Anfangsjahren in Wuppertal oft angefeindet wurde, weil sie statt klassischem Ballett eine Mischung aus Tanz, Theater, Gefühlsausbrüchen, Sprache und Gesang bot, wird allerdings nicht thematisiert.
Dafür sind aber ihre handschriftlichen Bleistift-Aufzeichnungen zu sehen und bewegende frühe Filme aus ihrer Ausbildung an der Juilliard School in New York und später als Meisterschülerin der Folkwang Hochschule. „Es geht um das Leben und darum, für das Leben eine Sprache zu finden“, sagte Pina 2007 in ihrer Rede zum Kyoto-Preis.
„Das Werk von Pina Bausch können wir hier nicht zeigen“, sagt ihr Sohn Salomon Bausch, Leiter der Pina Bausch Foundation. Die Ausstellung vermittele vielmehr, was auf der Bühne nicht erfahrbar sei. Sie wolle das Archiv und die für Pina so wichtigen Menschen zusammenbringen. „Die Stücke finden auf der Bühne statt“, sagt Salomon Bausch. „Wer ihr Werk erleben will, muss ins Theater nach Wuppertal gehen.“