Kulturbetriebe in Wuppertal vergeben Schleudersitze

Die Trennung des Tanztheaters Pina Bausch von seiner noch neuen Intendantin Adolphe Binder ist der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die in Wuppertal vor etwa vier Jahren einsetzte. An Wuppertals Bühnen ist der personelle Kehraus mehr Regel als Ausnahme.

Foto: Stefan Fries

Wuppertal. Die geräuschvolle Trennung des Tanztheaters Pina Bausch von seiner noch neuen Intendantin Adolphe Binder ist der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die in Wuppertal vor etwa vier Jahren einsetzte. Es war der Beginn der Ära Toshiyuki Kamioka als Generalmusikdirektor und Opernintendant in Personalunion. Die Entscheidung des damaligen Oberbürgermeisters Peter Jung (CDU) setzte ein Personalkarussell in Bewegung, von dem letztlich der Oberbürgermeister selbst flog.

Kamioka, Christian von Treskow, Johannes Weigand, Susanne Abbrederis, Adolphe Binder — die Namensliste ist lang, und alle eint, dass sie nicht mehr an Wuppertals Bühnen arbeiten. Aber das ist auch schon alles an Gemeinsamkeiten. Durch ihr Schicksal ist in Wuppertal wie außerhalb der Stadt der Eindruck entstanden, dass die Kulturbetriebe keine Stellen besetzen, sondern Schleudersitze.

Dieser Eindruck ist in einer Zeit besonders schädlich, in der sich Stadtverwalter und Politiker bei der Bundesregierung um dauerhafte Zuschüsse zu den Betriebskosten für das künftige Internationale Tanzzentrum Pina Bausch bemühen. Die jüngsten Ereignisse an der Wupper sind Wasser auf die Mühlen jener an der Spree, die das bemerkenswerte Erbe und die weltweit umjubelte Arbeit der Choreographin Pina Bausch national nicht für ausreichend bedeutend halten und die Kulturmillionen des Bundes deshalb bevorzugt anders ausgeben wollen.

Christian von Treskow, Adolphe Binder, Toshiyuki Kamioka (o.v.l.), Susanne Abbrederis und Johannes Weigand (u.v.l.) eint, dass sie nicht mehr für Wuppertals Kulturbetriebe arbeiten. Die Gründe dafür sind vielfältig und haben in einer Sache doch einen gemeinsamen Nenner: Die Personalentscheidungen werfen kein gutes Licht auf die Stadt Wuppertal. Fotos/Archiv: Mathias Kehren, Stefan Fries, Uwe Schinkel

Aus diesem Grund scheint es angezeigt, die Fälle der Gegangenen und der Geschassten einzeln zu betrachten. Sie haben überwiegend nur bedingt miteinander zu tun, und der Anfangspunkt ist die einsame Entscheidung eines heute ehemaligen Oberbürgermeisters, eines erklärten Connaisseurs der Opernwelt und der klassischen Musik.

Als Toshiyuki Kamioka im Jahr 2014 die Alleinherrschaft über Orchester und Oper übernahm, hatte die traditionsreiche Kulturstadt bereits eine schwierige Diskussion hinter sich. Es ging um die Zukunft des Schauspielhauses, auf dessen Bühne Größen wie Harald Leipnitz, Mechthild Grossmann, Ingeborg Wolf oder Horst Tappert standen. Im Jahr 2009 wurde der Betrieb in dem denkmalgeschützten Graubnerbau eingestellt. Der Stadtrat revidierte seinen Beschluss, nach dem Opernhaus in Barmen das Schauspielhaus in Elberfeld zu sanieren. Statt der Rückkehr auf die eigene große Bühne bespielte das im Laufe der Jahre immer kleiner gewordene Ensemble entweder die neue, privat finanzierte kleine Spielstätte am Engelsgarten oder die Opernbühne gleich nebenan.

Parallel zu dieser Entwicklung vollzog sich, was Kritiker den Wechsel vom Stadttheater zum Hoftheater nannten. Seither ist mit dem inzwischen gestoppten Niedergang des Schauspiels und der Oper in Wuppertal der Name Peter Jung verbunden. Einige Wuppertaler sind davon überzeugt, dass Jung seine Abwahl als OB selbst mit herbeigeführt hat, als er alles auf die Kulturkarte Kamioka setzte.

Dass mit dem Ja zum Japaner das Nein zur Vertragsverlängerung des angesehenen und ambitionierten Opernintendanten Johannes Weigand verbunden war, bedeutete den ersten personalpolitischen Kollateralschaden. Der Zweite heißt Christian von Treskow.

Die jüngere Kulturgeschichte Wuppertals ist nicht nur von der weitreichenden Entscheidung Jungs geprägt, sondern auch von der notorischen Geldnot, unter der die einst steinreiche Stadt seit Jahrzehnten leidet. Das Schauspielhaus fiel einem ersten Sparpaket des Kämmerers zum Opfer, für Kultur war und ist nicht viel Geld da. Umso mehr müssen die Bühnen selbst erwirtschaften. Von Treskow wurde zum Verhängnis, dass seine künstlerisch oft bemerkenswerten Inszenierungen sich nicht immer in üppigem Kartenverkauf niederschlugen. Dass auch von Treskows Vertrag nicht verlängert wurde, begründeten Beobachter der Wuppertaler Kulturszene vor allem damit.

Ganz anders sind die Hintergründe der Demissionen von Susanne Abbrederis und Adolphe Binder. In beiden Fällen trugen zwar fehlende Spielpläne zu den Demissionen bei. Hauptursachen waren aber nicht erfüllte Erwartungen im Falle Abbrederis und Kompetenzgerangel bei Adolphe Binder.

Susanne Abbrederis ist 2015 in einer Zeit nach Wuppertal gekommen, als sich das Schauspiel neu finden musste. Die großen Zeiten mit Intendanten wie Arno Wüstenhöfer und Schauspielern wie Harald Leipnitz waren längst vorbei. Das Schauspielhaus fristete damals wie heute ein deprimierendes Dasein neben einem Großkino. Das kleine Haus Engelsgarten wurde und wird von jenen belächelt, die dem 2013 endgültig abgeschlossenen Graubnerbau nachtrauerten. In dieser Zeit wollte die längst als Eigenbetrieb ausgegründete städtische Bühnen GmbH mit viel Programm bevorzugt auf der großen Opernbühne mitteilen, dass es in Wuppertal noch Schauspiel gibt. Susanne Abbrederis wollte das so nicht. Zwar bewies sie Empathie für Wuppertal, als sie Else Lasker-Schülers Stück „Die Wupper“ großartig live an verschiedenen Spielorten in der Stadt aufführen ließ, aber am Projekt „große Stücke auf großer Bühne“ beteiligte sie sich sehr zurückhaltend. Vor allem deshalb musste sie gehen.

Adolphe Binder ist wahrscheinlich über die Konstruktion des ebenfalls als GmbH geführten Tanztheaters gestürzt. Sie hatte zwar die künstlerische Leitung, in wirtschaftlichen Fragen hingegen war sie Befehlsempfängerin. Das gefiel ihr ebenso wenig, wie ihren Gegnern die Unnachgiebigkeit gefiel, mit der Binder auf ihren Positionen beharrte. Der fehlende Spielplan steht mithin als Synonym für fehlende Gesprächskultur, für das Fehlen einer Struktur, die einem Tanzbetrieb auf der Suche nach einer künstlerischen und wirtschaftlichen Zukunft zuträglich sind.

Wuppertal ist eine äußerst liebenswerte Stadt mit einer trotz aller Widrigkeiten ebenso bunten wie anspruchsvollen Kulturszene. Wuppertal verfügt über Gebäude und Landschaften, die vielen Menschen aus viel berühmteren Städten den Atem stocken lässt. Aber Wuppertal ist auch Provinz. Und so verhalten sich mitunter auch jene, die wichtige Entscheidungen zu treffen haben. Das belegen die Fälle Binder und Abbrederis. Während der zuständige Beirat von der angestrebten Demission der Intendanten erst im allerletzten Moment erfuhr, als schon kein Riss mehr zu kitten war, wäre die Inthronisierung von Susanne Abbrederis des Millowitsch-Theaters würdig gewesen. Am Ende war das Ja zur Österreicherin das Ergebnis von Mädchen gegen Jungen. Die Kunde geht, dass einer der Entscheider die Dramaturgin aus Wien für zu alt hielt. Daraufhin schloss sich die Damenfraktion zusammen — aus Prinzip, ob auch aus Überzeugung, ist nicht überliefert.

Möglich ist so etwas nicht zuletzt dadurch, dass die Bühnenbetriebe Wuppertals aufgrund der Finanznot privatisiert wurden. Stadtrat und Kulturausschuss haben keinen Einfluss mehr auf Personalentscheidungen. Selbst der eigentlich zuständige Kulturdezernent ist in vielen Fragen keine Instanz. Das gilt ebenso für den amtierenden Oberbürgermeister, der es freilich aber auch nicht immer rechtzeitig zu wichtigen Sitzungen der Bühnenbetriebe schafft. Das alles führt dazu, dass über Wohl und Wehe von den Menschen auf und hinter den städtischen Bühnen von wenigen Leuten befunden wird.

Wer auf Adolphe Binder folgt, ist derzeit noch ungeklärt. Bisher haben die personellen Wechseln auf dem Wuppertaler Kulturkarussell gefruchtet. Berthold Schneider gibt dem Opernensemble eine sehr vielversprechende Orientierung, unter Thomas Braus blüht das kleine, aber feine Schauspielensemble auf, und das Orchester scheint unter Julia Jones als Generalmusikdirektorin auf Erfolgskurs zu bleiben.

Aber zum Nulltarif dreht sich auch ein Personalkarussell nicht. Bei Binder geht es um vermutlich noch anfallende Zahlungen in Höhe von mehr als einer halben Million Euro. Und Susanne Abbrederis ist ebenfalls nicht mit leeren Händen zurück nach Wien gefahren.