Großfamilien in Deutschland: „Jedes Kind ist Glück“
Kinderreiche Familien sind in Deutschland eine Minderheit, eine schrumpfende dazu. Ein Besuch bei Familie Rosenow.
Düsseldorf. Eva Rosenow ist der personifizierte Klischeebruch. Klein und zierlich, modische Jeans, flotter Stricküberwurf, total entspannt — so öffnet die Mutter von fünf Kindern die Haustür. „Ich habe gerade ein bisschen in der Sonne gesessen.“
Es ist einer dieser wenigen Momente am Tag, wo sie etwas Zeit für sich hat. Die Kinder sind noch in der Schule oder im Kindergarten. Bis auf Albert. Der kräht oben in seinem Bettchen und will raus.
Besuch bei einer kinderreichen Familie in Immekeppel bei Köln. Besuch bei Vertretern einer schrumpfenden Minderheit.
„Insgesamt hat sich die Zahl der Kinderreichen mit drei und mehr Kindern im Laufe des 20. Jahrhunderts halbiert. Und sie nimmt weiter rapide ab“, sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Demographie, Professor Tilmann Mayer. Diese Entwicklung sei charakteristisch für Deutschland, im Gegensatz etwa zu Frankreich. Dort trage der Kinderreichtum zum starken Geburtenniveau bei.
Die Rosenows, das sind Albert (1 1/2 Jahre), Benedikta (fast 3), Isabelle (4), Friedrich (5) und Otto (6) — und die Eltern Eva (39) und Alexander (39). Der Vater und Ehemann arbeitet in Braunschweig, die Familie zieht bald nach.
Eva Rosenow erzählt von ihren eigenen Eltern, ihren Geschwistern, ihrer Kindheit in der Großfamilie — eine gute Zeit. Abitur, die Ausbildung zur Physiotherapeutin, die klare Entscheidung für die Kinder: „Jedes Kind ist Glück für mich“, sagt sie. Sie managt den Haushalt, die Termine der Kinder und meint selbstbewusst: „Ich glaub’, ich mach’ einen guten Job. Das soll mir erst mal jemand nachmachen.“ Bei anderen Frauen gehe das normalerweise so: „Job, Porsche, Kitaplatz. Und wenn es dann noch passt — ein Kind“, überspitzt Eva Rosenow.
In Deutschland komme bei jungen Leuten zunächst der Beruf, bestätigt Demograf Mayer: „Man will erst die berufliche Entwicklung so weit vorangetrieben haben, dass man sich Kinder leisten kann.“ Darum steige das Alter erstgebärender Frauen in Deutschland auf bald 30 an. In Frankreich werde beides besser kombiniert, auch durch entsprechende Betreuungsangebote. Außerdem sei bei den Nachbarn die starke ökonomische Ausrichtung nicht so kultiviert wie in Deutschland.
Die Bundesregierung reagiere auf den demografischen Wandel mit wirtschaftlichen Maßnahmen: „Mütter sollen schneller wieder in die Erwerbstätigkeit zurückkommen“, sagt Mayer. Es wäre aber notwendig, das Kinderhaben und die Umsetzung des Kinderwunsches zu unterstützen. Wenn Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) in einem Interview sage, die Bevölkerungsentwicklung sei nicht ihr Thema, beweise das mangelndes Problembewusstsein. „Wenn das so weitergeht, kann sich wenig verändern“, meint Mayer.
In Deutschland gehöre es zum guten Ton, sich beim Kinderkriegen zurückzuhalten, sagt der Bonner Wissenschaftler. „Umgekehrt sind alle, die das anders pflegen, rechtfertigungsbedürftig.“ Mit Kinderreichtum werde eher etwas Negatives verbunden, eine „gewisse soziale Nachlässigkeit“. Da würden Großfamilien schon mal schief angeguckt.
Wenn Florian Brich in Nürnberg mit seinen vier Kindern zum Spielplatz geht, spürt er diese Blicke, die sagten: „Wie kann man sich so was nur antun.“ Brich ist Sprecher des Verbandes kinderreicher Familien Deutschland e.V. mit Sitz in Mönchengladbach. Mehr als 1700 Familien mit drei oder mehr Kindern sind Mitglied.
Sie haben einen vergleichsweise bescheidenen Anspruch: Sie wollen wahrgenommen werden — von der Politik, von Vermietern, Städten und Verkehrsunternehmen. „Das klassische Bild der Familie hört bei zwei Kindern auf, da muss man sich nur die Werbung anschauen. Wann sieht man mal einen Werbespot, wo sechs Kinder durchs Bild laufen?“, fragt Brich.
Eine Familie mit vielen Kindern sei in Deutschland nicht im Blick. Beispiel Schwimmbad: Ab dem vierten Kind gebe es keine Vergünstigungen mehr. Und Museum? „Glückssache, wenn da mal einer mitgedacht hat.“ Wohnungssuche — ein ganz großes Problem: „Finden Sie mal eine Mietwohnung mit mehr als zwei Kinderzimmern. Bei vier, fünf oder sechs Kindern wird das zur Mammutaufgabe“, sagt Brich.
Natürlich gehe eine große Wohnung richtig ins Geld, ebenso wie die Unterstützung der Kinder in der Schule. Dazu Klassenfahrten, Kindergeburtstage . . . „Das potenziert sich ja alles“, sagt der 42-Jährige. Rücklagen für die Ausbildung der Kinder oder für die eigene Altersvorsorge seien schwierig. Mehr Kindergeld würde die Kosten zwar auch nicht abdecken, „aber es wäre ein Zeichen der Gesellschaft, dass es honoriert wird, wenn es Menschen gibt, die sich für viele Kinder entscheiden.“ Davon hätten ja schließlich alle etwas.
Zurück im rheinischen Immekeppel. Eva Rosenows Ältester, Otto, kommt in den Garten und nimmt sich einen von den Muffins, die Mama noch am späten Vorabend gebacken hat. „Wenn ich Geld hätte, dann würde ich auch noch das sechste Kind bekommen“, sagt sie. An der Steuerschraube müsste man für Familien drehen, das würde aus Rosenows Sicht helfen.
Zeit für den Kindergarten, Isabelle, Benedikta und Friedrich abholen. Eigentlich sind es nur ein paar Meter. Aber Otto kommt mit und mault aus unerfindlichen Gründen. Dann zankt Friedrich auch noch mit ihm. Derweil muss Benedikta Blümchen in einem Vorgarten angucken. Und Isabelle trödelt hinterher. Der ganz normale Wahnsinn — mal fünf allerdings.