Gurlitt: Stunde Null mit blinden Flecken
Nach dem Krieg machte Cornelius Gurlitts Vater Karriere in Düsseldorf. Im Archiv der Stadt finden sich Spuren und Hinweise.
Düsseldorf. Die Suche nach Nazi-Raubkunst in der Münchner Bilderkollektion von Cornelius Gurlitt führt immer wieder zu der Frage: Wie war sein Vater Hildebrand Gurlitt (1895-1956), einer der vier Kunsthändler Hitlers, an die Gemälde und Papierarbeiten der berühmtesten Künstler der Avantgarde gekommen? Ein Besuch im Düsseldorfer Stadtarchiv liefert Erkenntnisse über Hildebrand Gurlitt, dessen Bilderschatz sein Sohn Cornelius Jahrzehnte hütete wie Alberich den Nibelungenhort.
Hildebrand Gurlitt knüpfte nach dem Krieg fast nahtlos an seine Karriere als Museumsleiter an. 1948 wurde er Leiter des renommierten Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf - des ältesten und größten deutschen Kunstvereins. Das Düsseldorfer Stadtarchiv hütet die Unterlagen, darunter Kladden mit dienstlicher Korrespondenz Gurlitts.
Daraus geht hervor, dass Gurlitt auch nach dem Krieg international bestens vernetzt war, Kontakte zu Künstlern wie Marc Chagall pflegte sowie auch zu Botschaften und Regierungsstellen. Gurlitt hatte einen exzellenten Ruf als Kunstfachmann, wie zahlreiche ehrfürchtige Briefe beweisen. Und noch eines wird deutlich: Nach Gurlitts Rolle als Kunsthändler in der Nazi-Zeit wurde nicht mehr gefragt.
Schon im November 1949 organisierte Gurlitt eine Ausstellung mit Werken von Chagall und pflegte einen Briefkontakt mit dem in Frankreich lebenden „hochverehrten Herrn Chagall“. „Ich selbst war lange Museumsdirektor und wurde im Dritten Reich als solcher entlassen (als Kulturbolschewist). Als Händler habe ich mich ganz gut durch die Zeiten hindurchgeschlagen und vielerlei gelernt“, schrieb Gurlitt 1950 an Chagall. Dieser zeigte sich „berührt von den Sympathien“, die ihm in Deutschland „nach der Epoche, die so tragisch für die Menschheit war“, entgegengebracht würden.
Gurlitt starb am 9. November 1956 bei einem Autounfall. In der auf dem Totenkärtchen abgedruckten Gedenkrede hob der damalige Generaldirektor der Kölner Museen Gurlitts Einsatz für die von den Nazis verfemte Avantgarde hervor. Wie Gurlitt die Kollektion zusammentrug, die jetzt für Schlagzeilen sorgt, ist in Ansätzen einem unveröffentlichten Text zu entnehmen.
In bewegenden Worten erzählt Gurlitt darin von seinem Kampf für die Avantgarde, aber auch, wie er während der Nazi-Herrschaft mit Bildern handelte. Die Werke seien „von den Malern, von emigrierenden Kunden und Freunden“ gekommen, aber auch aus dem Beschlagnahmedepot der Nazis. Ob die „emigrierenden Kunden und Freunde“ ihre Kunst unter Zwang verkaufen mussten, bleibt freilich im Nebel. Die Werke seien „das Beste meines Lebens“, schrieb Gurlitt. Er sehe sie nach all den Abenteuern „nicht eigentlich als mein Eigentum an, sondern als eine Art Lehen, mit dem zu wirken mir aufgegeben ist“. Diese Sichtweise scheint auch sein Sohn Cornelius verinnerlicht zu haben, den „Der Spiegel“ mit den Worten zitierte: „Und mehr als meine Bilder habe ich nichts geliebt in meinem Leben.“