Häuserkampf um freie Sicht aus dem Fenster
Werbeplakate versperren Mietern den Blick nach draußen. Einer wehrt sich jetzt.
Warschau. Die Vorfrühlingssonne kann etwas Herrliches sein. Wenn die ersten Strahlen Gesicht und Seele streicheln, ist so manche Wirrnis des Winters vergessen. Umso wichtiger ist auch in Wohnungen und Büros ein Blick ins Freie. Genau das ist es, wonach sich Antoni Hryniewiecki aus der Warschauer Pulawska Straße 43 seit fünf Jahren gesehnt hat. So lange hingen dort an der Fassade und damit auch vor Antonis Fenstern haushohe Werbeplakate. Zuletzt offerierte eine Bank ihr Kreditangebot. Antoni, Student der Psychologie, schaute von hinten auf eine riesige Sieben, die den Zinssatz markierte.
In Warschau sind derartige Fassadenverschönerungen in Zeiten des polnischen Wirtschaftswunders gang und gäbe. Wer Geld hat, will werben und zwar sichtbar. Für die Bewohner kann das lukrativ sein. 200 Zloty, umgerechnet 50 Euro, je Fenster bekommen sie monatlich als Mietminderung bar auf die Hand. Immerhin fünf Prozent des polnischen Durchschnittslohns.
Die Fachleute in der polnischen Bürokratie und Justiz streiten darüber, was bei alldem erlaubt ist. Klar sollte sein, dass niemandem sein Fenster gegen dessen Willen verhängt werden darf. Antoni aber wollte nun einmal nicht. „Ich möchte in die Welt schauen“ — 200 Zloty hin oder her. Seine Nachbarn in der Pulawska Straße 43 sahen das anders. Ihnen war das Geld wichtiger als die Sonne. Die Hausgemeinschaft sprach sich für das Plakat aus. Die Behörden wiederum interessierten sich nicht weiter für den Abweichler Antoni.
Schließlich griff der angehende Psychologe zum inzwischen weltweit bewährten Mittel der Facebook-Revolution. Antoni legte ein Profil an, in dem er vor allem die plakatierende Bank ins Visier nahm. Der junge Mann sammelte innerhalb kürzester Zeit zahlreiche virtuelle Freunde. Das war dem Unternehmen nicht geheuer. Noch in der gleichen Woche rückten Arbeiter an und entfernten die Riesenplane. Nun kann der Frühling kommen.