Haiti - Mediziner entwarnt: "Erreger überleben nicht lange in totem Gewebe"
Köln/Hamburg. Die Leichenberge in den Straßen von Haitis Hauptstadt Port-au-Prince beschleunigen anders als vielfach angenommen nicht die Ausbreitung von Seuchen. "Absolut nicht. Verwesung führt zwar zu Gestank, der daraus entsteht, dass das Eiweiß in den Körpern zersetzt wird.
Das ist aber nicht gefährlich", erklärte Rainer Löb, Bundesarzt des Malteser Hilfsdienstes in Köln, in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa am Freitag. "Die entstehenden Schwefelverbindungen sind zwar giftig, aber sie liegen in so niedriger Konzentration vor bei Leichen, dass sie dort überhaupt keine Gefahr darstellen."
Die Menschen in der Region seien ja nicht an einer sich ausbreitenden Infektion gestorben, sondern an ihren Verletzungen, erläuterte Löb. Zwar gebe es unter den Toten natürlich auch Menschen, die an einer ansteckenden Krankheit litten.
"Natürlich haben Helfer ein etwa höheres Infektionsrisiko, generell, wenn sie mit einer Masse an Verstorbenen zu tun haben." Einfache Maßnahmen wie die Verwendung von Einweghandschuhen, Leichensäcken und Desinfektionsmittel genügten aber, um sich zu schützen.
"Darüber hinaus: Die Erreger überleben nicht lange in totem Gewebe." Die Infektionswahrscheinlichkeit werde daher sogar noch "von Stunde zu Stunde kleiner, weil die Erreger nicht überleben". Die Sorge vor Seuchen sei deshalb auch kein Grund dafür, Massenbegräbnisse vorzunehmen.
"Es ist eher wichtig, dass die Menschen Gewissheit über den Tod ihrer Angehörigen haben und Abschied nehmen können." Bei der großen Hitze im Land, in dem es zudem an entsprechenden Kühlhäusern mangele, ließen sich zumindest vorläufige Massenbeerdigungen aber wohl nicht vermeiden.
Traumatisierend sei die Situation vor allem für Kinder. "Davon kann man ausgehen, dass hier extreme psychische Belastungen da sind. Das wird nachwirken über lange, lange Zeit", sagte Löb.
Es sei aber nicht davon auszugehen, dass jeder Betroffene lange psychotherapeutisch betreut werden müsse. Trost könnten vor allem Angehörige spenden, und auch der Satz "Geteiltes Leid ist halbes Leid" sei durchaus wahr. "Das absolut Beste, was man haben kann, sind vertraute Menschen."
Derzeit bedeutendstes Problem sei das Wasser. "Wichtig ist, dass man möglichst rasch sauberes Trinkwasser hat, weil sich hier wirklich Krankheitserreger vermehren können", betonte Löb. "Das ist das A und O und der Dreh- und Angelpunkt." Wegen der Probleme, Hilfsgüter bis in die betroffenen Gebiete zu bringen, könne es aber noch mehrere Tage dauern, bis eine solche Versorgung gegeben sei.