Heimwegtelefon: Sicheres Gefühl auf dem Weg nach Hause
Zwei Freundinnen sitzen nachts am Telefon, um fremden Menschen auf dem Heimweg ein sicheres Gefühl zu geben.
Hamburg. Es ist ein Gefühl, das viele kennen. Es ist spät geworden im Kino oder in der Kneipe. Die Freunde wollen noch bleiben, aber man selbst sehnt sich nach dem Bett — wenn da nur nicht der einsame Heimweg im Dunkeln wäre. Um das mulmige Gefühl zu unterdrücken, nutzen viele einen einfachen Trick: Sie rufen jemanden an, mit dem sie auf dem Heimweg reden können. Falls man in eine brenzlige Situation gerät, angepöbelt oder angefallen wird, bekommt es wenigstens jemand mit. Einziges Problem: Nicht jeder kennt jemanden, den er spät abends oder in der Nacht anrufen kann.
„Ich habe deshalb oft nur so getan, als würde ich telefonieren“, erinnert sich Anabell Schuchhardt. Die 29-jährige Hamburgerin hat vor drei Monaten gemeinsam mit ihrer Berliner Freundin Frances Berger das Heimwegtelefon gegründet. Nach dem Motto „Wir quatschen dich heim“ sind die beiden Frauen gemeinsam mit fünf Freundinnen jeden Freitag und Samstagabend von 22 Uhr bis 2 Uhr unter einer zentralen Nummer erreichbar — kostenlos. Es entstehen nur die Handykosten.
Zu Beginn des Gesprächs werden die Anrufer gebeten, ihren momentanen Standort und die Zieladresse zu nennen. Auf Google Maps im Internet wird die Route dann mitverfolgt. Auch das Umfeld wird abgefragt: etwa, ob die Straße beleuchtet ist, ob sie einsam gelegen ist oder ob Betrunkene aus nahen Kneipen unterwegs sind. Sollte es zu einem Vorfall kommen oder die Verbindung abreißen, verständigen die Frauen am Heimwegtelefon die Polizei.
Knapp 200 Menschen haben sie bislang in Gesprächen begleitet. „Sie waren durchweg angenehm“, sagt Anabell Schuchhardt. Zwar waren auch einige Anrufer dabei, die vor allem aus Neugier angerufen haben. „Einer ist extra von zu Hause aus eine Station mit dem Bus gefahren, um auf dem anschließenden Heimweg mit uns reden zu können“, schildert sie. Darunter waren aber auch zwei Frauen, die erst kurz vorher negative Erfahrungen gemacht haben. Zum Ernstfall kam es bislang nicht.
Zwei Jahre lang haben die beiden Freundinnen an dem Konzept für das Heimwegtelefon gearbeitet. „Die Idee kam mir, weil ich ein paar Jahre in Schwedengelebt habe. Dort gibt es so etwas bereits“, erklärt Schuchhardt. Dort sitzen die ehrenamtlichen Telefonisten allerdings bei der Polizei. Das wollten die beiden Frauen nicht. „Für ehrenamtliche Helfer ist die Hemmschwelle niedriger, wenn sie von zu Hause aus telefonieren können.“ Damit das funktioniert, nutzen sie eine Software aus dem Internet, mit der man Anrufe auf mehrere Apparate umleiten kann.
Und tatsächlich haben sich in den vergangenen drei Monaten insgesamt 150 Menschen gemeldet, die auch am Heimwegtelefon sitzen wollen. „Wir treffen uns zurzeit gruppenweise in Berlin und Hamburg, bald auch in München, Stuttgart und Nürnberg mit Interessenten.“ Auch aus NRW hätten sich Freiwillige gemeldet. Ihre Motivation? „Die meisten kennen einfach dieses ungute Gefühl auf dem Heimweg. Viele sagen uns zudem, dass sie ohnehin nachts von zu Hause aus arbeiten und nebenbei telefonieren können.“
In Zukunft müssen die beiden Initiatorinnen viele Fragen klären. Sind Männer sinnvoll am Heimwegtelefon? Schließlich rufen vor allem Frauen zwischen 20 und 30 Jahren an. Was ist, wenn sie tatsächlich die Polizei rufen müssen und es entpuppt sich als Fehlalarm? Bisherige Gesprächsversuche mit der Polizei verliefen im Sande. Bald soll ein erneuter Anlauf erfolgen.