Herrscht im Parlament Baby-Verbot?

Im Thüringer Landtag flog eine Abgeordnete raus, weil sie ihren Säugling dabei hatte. Aber in NRW geht es familienfreundlicher zu.

Foto: K. Dröge

Düsseldorf. In den Sozialen Netzwerken wird die Affäre aus Thüringen schon zu „Baby-Gate“ hochstilisiert: Am Mittwoch verwies der Landtagspräsident Christian Carius die Grünen-Abgeordnete Madeleine Henfling des Erfurter Plenarsaals, weil sie ihren sechs Wochen alten Sohn in einer Tragehilfe umgeschnallt hatte. Es ist ein Fall, der auf ein alltägliches Problem von Mamas und Papas in der Politik verweist. Denn eine Elternzeit, während der eine Vertretung den Job übernimmt, gibt es im Parlament nicht.

Madeleine Henfling und ihr sechs Wochen altes Baby durften in Thüringen nicht an einer Abstimmung teilnehmen.

Foto: Jens Kalaene

In Thüringen verwies Carius auf die Geschäftsordnung, die Kinder im Plenarsaal nicht zulasse — was man durchaus noch einmal diskutieren könne. Generell empfehle er — der selbst Vater ist — aber Eltern eine Betreuung für ihr Kind. Im Düsseldorfer Landtag ist ein solches „Baby-Gate“ nicht möglich. „Die Geschäftsordnung verbietet es explizit nicht, Säuglinge oder Kleinkinder mit in den Plenarsaal zu bringen“, erklärt ein Sprecher des Landtages. Den Fall hatte es im April 2016 sogar einmal gegeben: Die Grünen-Abgeordnete Verena Schäffer brachte ihre kleine Tochter mit in die Sitzung und wurde vom amtierenden Präsidenten, Vize-Präsident Eckhard Uhlenberg, ausdrücklich begrüßt — „unter Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank“, so der Sprecher.

Verena Schäffer brachte 2016 ihr Kind mit in den NRW-Landtag.

Foto: Grüne/CDU

Theoretisch könnte es bald wieder Applaus geben: Schäffer erwartet in wenigen Tagen ihr zweites Kind. Sie will aber wohl bis Ende des Jahres eine Auszeit nehmen — was bedeutet, dass andere Fraktionsmitglieder ihre Ausschüsse übernehmen, ihr Stuhl im Plenum allerdings leer bleibt. „Es rückt jetzt niemand von der Landesliste nach — das wäre ja so, wenn jemand ausscheidet“, sagt Fraktionssprecher Jan Miebach. „Wir haben bei Abstimmungen im Plenum eine Stimme weniger.“

Angela Erwin ist junge Mutter und voll im politischen Betrieb.

Foto: K. Dröge

In der Opposition ist das nun kein großes Problem — für eine Regierungsfraktion, zumal mit hauchdünner Mehrheit wie derzeit in NRW, allerdings schon. Die CDU hat das in diesem Jahr erlebt: Die Düsseldorfer Abgeordnete Angela Erwin ist im April Mutter geworden. Drei Sitzungen hat sie während des Mutterschutzes verpasst — und ist froh über die Fairness der Opposition aus SPD und Grünen: „Es war klar, dass niemand einen politischen Vorteil daraus ziehen will“, erklärt sie gegenüber dieser Zeitung. Von den Fraktionsspitzen sei eine sogenannte „Pairing-Vereinbarung“ getroffen worden: Um Erwins fehlende Stimme auszugleichen, blieb auch ein Oppositionspolitiker der Abstimmung fern. „Wir haben hier ein politisches Klima, das sehr familien- und kinderfreundlich ist“, sagt die 38-jährige CDU-Frau.

Inzwischen war ihr kleiner Max auch schon im Landtag — aber nur zu Besuch vor der Sitzung. Erwin sagt, sie habe „enormes Glück“, dass ihre Familie sie bei der Betreuung so unterstütze — immerhin ist sie neben ihrem Mandat auch noch Rechtsanwältin. „Wenn man es möchte, bekommt man alles unter einen Hut“, sagt sie. Aber: „Es bedarf viel Organisation.“ Ihr ist es wichtig, auch als Mutter der Verantwortung nachkommen zu können, die sie mit der Wahl übernommen hat: „Wir sitzen im Parlament und spiegeln die Gesellschaft wider. Dazu gehören eben auch junge Eltern.“

Die Organisationsaufgabe wächst noch, wenn gependelt werden muss. Davon kann Katharina Dröge, Kölnerin und für die Grünen im Bundestag, ein Lied singen. Den Rauswurf in Thüringen findet sie „ziemlich krass“. „Der Bundestag ist großzügiger: Bei namentlichen Abstimmungen dürfen die Kinder mit rein“, sagt sie, die in der vergangenen Legislaturperiode gleich zwei Kinder bekommen hat.

Aber auch nur zur Abstimmung, keine fünf Minuten vorher. „Ich bin auch schon rausgeflogen mit Kind“, berichtet sie dieser Zeitung. Die Mitarbeiter hätten dazu per Geschäftsordnung durchaus das Recht — allerdings habe Norbert Lammert als Bundestagspräsident dieses immer mal wieder gebeugt und die Kinderwagen neben der Abgeordnetenbank wohlwollend zugelassen.

Ansonsten wäre es zumindest bei den Grünen zwischenzeitlich auch leer geworden: Neun Abgeordnete wurden binnen eines Sommers Mütter. „Wir waren alle zwei Monate nach der Geburt wieder da“, berichtet Dröge. Und schon während dieses Mutterschutzes seien sie bei dem Portal Abgeordneten-Watch einfach als abwesend geführt worden, gemeinhin ein Indiz für faule Politiker. Noch ärger sei es für die Väter, so Dröge, die keinen einzigen Tag Elternzeit hätten.

Der Bundestag hat eine Kindertagesstätte — allerdings stünden da vorne auf der Liste Mitarbeiter, die Abgeordneten hintenan, sagt Katharina Dröge. „Sonst gibt es keine Betreuungsmöglichkeit. Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode ein Spielzimmer im Reichstag erkämpft.“ Dort habe ihr Mann, der Elternzeit genommen hatte, dann mit dem Baby zumindest warten können, während sie in den Sitzungen war — und zum Stillen herüberkam.

Dröge pendelt inzwischen mit der ganzen Familie. In Berlin sind die Kinder in der Kita, in Köln muss sie selbst für Betreuung sorgen — zwei Wohnungen haben sie. Ihr Mann arbeitet überwiegend im Home-Office. Das sei ein Privileg. Eine Kollegin etwa sei mit einem NRW-Polizisten verheiratet. Da müsse sie immer allein nach Berlin, er sei in der Zwischenzeit alleinerziehend.

Dass Mandat und Familie sich künftig besser vereinbaren lassen, wünscht sich Katharina Dröge sehr, denn wie Angela Erwin aus Düsseldorf findet sie, dass Politiker Spiegel der Gesellschaft sein müssen: „Ich würde sogar noch weitergehen — wir sollen Vorbild sein.“ Man könne nicht die Firmen des Landes zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie verdonnern und es dann nicht selbst leben. Politik dürfe in diesem wichtigen Feld „nicht so starr sein“.