Immer mehr Welterbestätten - wie lange geht das gut?
Bonn (dpa) - Die Pyramiden, Venedig und die Chinesische Mauer - das ist unbestritten Weltkulturerbe. Aber wie sieht es aus mit belgischen Schiffshebewerken, der Weinbaulandschaft des Piemont oder mit der Hamburger Speicherstadt, die am Wochenende wohl mit dem begehrten Titel ausgezeichnet wird?
Da erschließt sich der „außergewöhnliche universelle Wert“ zumindest nicht unmittelbar.
Über 1000 Welterbestätten gibt es schon, und es werden jedes Jahr mehr. Allein in den nächsten Tagen entscheidet das Unesco-Welterbekomitee in Bonn über 36 neue Bewerbungen, von der Daurischen Steppe in Russland und der Mongolei bis zu einer schottischen Eisenbahnbrücke. Deutschland bewirbt sich außer mit der Speicherstadt mit dem Naumburger Dom und ist beteiligt an einer Sammelbewerbung zur Wikingerkultur.
All das verschärft die sowieso schon prekäre Finanzlage der UN-Kulturorganisation: Seit die Unesco Palästina 2011 als Vollmitglied aufgenommen hat, hat der größte Beitragszahler USA den Geldhahn zugedreht. Das bedeutet mal eben 22 Prozent weniger. So kommt es, dass für die Welterbe-Programme noch nicht einmal fünf Millionen Euro im Jahr zur Verfügung stehen.
Davon fließen mittlerweile 80 Prozent in die Bewertung und Überprüfung der Stätten. „Das ist in der Tat ein kritischer Punkt“, sagt die Vorsitzende des Welterbekomitees, Staatsministerin Maria Böhmer (CDU), in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. „Bei den Finanzen knirscht's.“ Dennoch ist sie keinesfalls dafür, die Liste zu schließen: „Qualitätsvolle Welterbestätten sind immer willkommen.“
Stephan Dömpke, Vorsitzender des Berliner Vereins World Heritage Watch, hält die immer länger werdende Liste dagegen für höchst problematisch. „Denn mit der zunehmenden Zahl geht unweigerlich eine schleichende Entwertung einher.“ Man müsse sich darüber einigen, wie man zu einem Ende der Liste kommen könne.
Doch ein solcher Aufnahmestopp erscheint illusorisch - denn mit dem Welterbetitel sind handfeste wirtschaftliche Interessen verknüpft. Viele Kulturreise-Veranstalter steuern inzwischen nur noch Regionen an, die auch Welterbestätten vorweisen können. In dieser Hinsicht ist das Welterbekonzept ein Opfer seines eigenen Erfolgs: Immer mehr Länder wollen sich mit noch mehr Einträgen profilieren.
Auch innerhalb der Unesco wird eine zunehmende Politisierung der Entscheidungen beklagt. Dömpke kritisiert: „In den vergangenen Jahren wurde nahezu die Hälfte aller Entscheidungen gegen das Votum der beratenden Fachorganisationen getroffen. Das muss dringend aufhören, sonst verliert das Welterbe seine Glaubwürdigkeit.“ Außerdem müsse die Unesco die Zivilgesellschaft stärker beteiligen: „Nur die lokale Bevölkerung ist ständig vor Ort und kann frühzeitig Gefährdungspotentiale erkennen.“
Wenn die Stätten erst einmal auf der Liste sind, werden sie häufig auch von reichen Ländern vernachlässigt. Hier ist die Unesco allerdings nicht machtlos: Sie kann mit dem Entzug des Titels drohen. Das Naturerbe Great Barrier Reef entging in Bonn nur deshalb der Roten Liste, weil die australische Regierung die Umsetzung eines umfassenden Schutzplans versprach.
Armen Ländern fehlen dafür die Mittel - sie sind auf Hilfe angewiesen. Am Donnerstag ging es bei der Bonner Tagung um Nepal. Das Erdbeben hat dort die zum Welterbe gehörenden Tempel von Kathmandu verwüstet. Die Unesco ist zum Wiederaufbau entschlossen. Der Zeitrahmen: mehrere Jahrzehnte. Die Kosten: nicht zu beziffern.