Irina Scherbakowa erhält Carl-von-Ossietzky-Preis
Oldenburg (dpa) - Die russische Historikerin und Publizistin Irina Scherbakowa ist am Sonntag mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik in Oldenburg ausgezeichnet worden. Der von der Stadt vergebene Preis ist mit 10 000 Euro dotiert.
„Als wir vor Monaten die Entscheidung getroffen haben, konnten wir die Entwicklung in der Ukraine und Russland nicht mal ahnen“, hatte die Jury-Vorsitzende Sabine Doering zuvor gesagt. Der Deutschen Presse-Agentur (dpa) sagte Scherbakowa zum Konflikt, dass Moskau Demokratie in der Ukraine fürchtet. „Davor hat man Angst, man hat Angst, dass man sich womöglich von dieser Demokratie in Russland noch ansteckt.“
Die 1949 in Moskau geborene Historikerin und Germanistin erhält die Auszeichnung für ihren Einsatz für die historische Erforschung der Geschichte ihres Landes im 20. Jahrhundert. Der Carl-von-Ossietzky-Preis wird seit 1984 mit Unterbrechungen alle zwei Jahre verliehen. Er wird immer am 4. Mai, dem Todestag des Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzky (1889-1938), übergeben.
Scherbakowa soll während ihres Aufenthaltes in Oldenburg auch an einer Diskussion mit dem Thema „Russlands Weg wohin? Eine Großmacht zwischen Apathie, Protest und Führerkult“ teilnehmen.
„Man muss aufhören, eine unglaubliche Propaganda in den russischen Massenmedien, die gleichgeschaltet sind, zu verbreiten, was für Horror sich in der Ukraine abspielt“, sagte sie der dpa. Die russische Propaganda lähme die Ukraine und binde die Hände der ukrainischen Regierung. „Das entspannt die Situation überhaupt nicht.“ Für eine Entspannung der Lage wäre es nötig, klipp und klar zu sagen, dass man die Separatisten nicht unterstützt.
Nach Scherbakowas Überzeugung wurden in der Hektik der Revolution auch in der Ukraine viele Fehler gemacht. Ein Beispiel sei die inzwischen revidierte Einschränkung der russischen Sprache. „Das wurde sofort für die Propaganda im Osten des Landes eingesetzt.“ Es gebe aber auch große Gewinne. „Vor allem die Pressefreiheit, bei uns wird sie sehr stark eingeschränkt.“
Das Argument, Russland werde im Westen falsch verstanden, will Scherbakowa nicht geltenlassen. Es sei eine Jahrhunderte alte Ausrede, um unberechenbare und aggressive Politik zu verbergen. „Meine Sorge gilt jetzt, besonders was Deutschland betrifft, dass die Beziehungen und Kontakte zwischen der Zivilgesellschaft in Deutschland und in Russland, die sich im Laufe der letzten 25 Jahre intensiv entwickelt haben, auch stark beschädigt werden.“ Russland betreibe eine Abkapselung, Entfremdung und antiwestliche Politik.