67-Jähriger festgenommen Rätsel um Familie in Ruinerwold - Polizei hat Vater im Visier
Amsterdam · Neun Jahre lang lebten ein Vater und sechs Kinder total isoliert auf einem Hof in den Niederlanden. Der 67-jährige Vater und ein Österreicher sind in Haft. Hatten sie eine Sekte gegründet?
Im mysteriösen Fall um die isolierte Familie auf einem Bauernhof in den Niederlanden konzentrieren sich die Ermittlungen nun auf das Motiv. Vieles weist daraufhin, dass der nun festgenommene Vater eine sektenähnliche Gemeinschaft errichten wollte. Eine Sondereinheit von 30 Beamten ermittelt. Sie versuchen, auch mit Hilfe von Psychologen festzustellen, was auf dem abgelegenen Hof in Ruinerwold seit 2010 geschehen ist. Der Vater sei ansprechbar, und auch mit den Kindern könne man kommunizieren, sagte ein Sprecher der Polizei am Freitag in der ost-niederländischen Provinz Drenthe.
Der 67-jährige Gerrit Jan van D. war am Donnerstagabend festgenommen worden. Fünf seiner nun erwachsenen Kinder waren nach Aussagen der Polizei dabei und hätten „sehr heftig reagiert.“ Sie sollen den Vater nach einem Schlaganfall vor einigen Jahren versorgt haben.
Genau wie der ebenfalls festgenommene 58 Jahre alte Österreicher Josef B. wird der Vater der Freiheitsberaubung verdächtigt. Josef B. hatte den Hof gemietet, wohnte aber dort wahrscheinlich nicht. Er hatte die Familie versorgt.
Die Polizei geht davon aus, dass die sechs jungen Leute, heute zwischen 18 und 25 Jahre alt, gegen ihren Willen festgehalten wurden. Nur, wo liegt die Grenze zwischen freiem Willem und Zwang? Geht es hier um starken psychischen Druck des Vaters?
Bisher gibt es nur wenige Informationen über das Leben auf dem Hof. Die Familie hat neun Jahre lang in einem „abschließbaren Raum“ gewohnt, der in kleine Kämmerchen aufgeteilt war. Der Raum war hinter einem Schrank verborgen. „Der abgeschlossene Raum war deutlich gedacht, um die Außenwelt draußen zu halten“, sagte die stellvertretende Polizeichefin in Drenthe, Janny Knol, im niederländischen Fernsehen. Die Polizei geht davon aus, dass die Mutter der Familie schon 2004 gestorben ist.
Kontakt mit Kindern des Mannes nicht einfach
Die vier Mädchen und zwei Jungen waren zwar ab und zu im Garten, aber haben nie das Gelände verlassen. Auch wenn sie nie zur Schule gegangen sind, können sie lesen und schreiben und sprechen Niederländisch. Der Kontakt zu ihnen sei aber nicht einfach, sagte die Polizeichefin. „Dass sie nicht unbedingt dasselbe Verhalten zeigen wie wir ist deutlich.“
„Es ist ein schwieriges Puzzle“, sagte der Bürgermeister der Kommune De Wolden, Roger de Groot, „und wir haben noch nicht alle Teile.“ Das Puzzle wird wohl keine holländische Land-Idylle abbilden.
Der Bauernhof im 4000-Seelen-Dorf Ruinerwold liegt versteckt hinter Hecken und hohen Bäumen. Auf Drohnen-Fotos ist ein Garten mit Gemüsebeeten und bunten Blumen zu sehen. Es gibt ein Gewächshaus und Tiere.
Das isolierte Leben in der Natur und die Selbstversorgung mit eigenem Gemüse passt zu Ideen, die Vater Gerrit Jan van D. schon vor Jahren geäußert haben soll. Er gehörte in den 80er Jahren der Vereinigungskirche des Koreaners Moon an. Die Sekte habe er dann verlassen, sagte der Generalsekretär der Vereinigungskirche, Wim Koetsier. „Gerrit verließ die Bewegung 1987 und begann, soweit wir wissen, seine eigene Gruppe.“
Offensichtlich war es nicht einfach, aus diesem Leben des Vaters auszusteigen. Der 25-jährige Sohn Jan hatte seinen Ausstieg geplant. Das geht aus seinen unbeholfenen ersten Schritten im Internet hervor. Schließlich bat er am Sonntag in der Dorfkneipe um Hilfe. So war der Stein ins Rollen gekommen.
So verhielt sich der Sohn in den sozialen Medien
Niederländische Medien berichten von einem Facebook-Profil, auf dem der 25-Jährige seit Juni Beiträge veröffentlicht haben soll. Auf dem Profil findet man viele Naturfotos, etwa ein Album mit dem Titel „Bäume um mich herum“ - mindestens ein Bild wurde aus einem Dachfenster aufgenommen, andere entstanden vor einem Holzzaun. Es finden sich darauf jedoch auch Beiträge zu Klimastreiks und Verweise auf die Arbeit des 25-Jährigen. So verkaufte er im Juni auf der Anzeigenwebsite marktplaats.nl begleitet von den Worten „Unser erstes Produkt!“ einen Durchlauferhitzer mit Holzverkleidung. Wann das Profil erstellt wurde und ob es tatsächlich von dem jungen Mann angelegt wurde, bleibt unklar.
Unter dem gleichen Usernamen lässt sich auch ein Instagram-Account finden, die ersten Bilder – Selfies des jungen Mannes – wurden im Juli geteilt. Die letzten Posts zeigen dagegen den Besitzer der Kneipe „Kastelein“, Chris Westerbeek, zu dem der 25-Jährige offenbar Vertrauen fasste. Ihm vertraute er an, dass er weggelaufen sei und Hilfe benötigte. Der Kneipenbesitzer rief daraufhin die Polizei.
Es bleiben viele offene Fragen. So auch, warum auf der Facebook-Seite des jungen Mannes ein anderes Instagram-Profil verlinkt ist, als das, welches man unter seinem Namen findet. Auf diesem Profil wurde lediglich ein Foto im August 2017 gepostet - also zwei Jahre vor seiner Aktivität auf den anderen Profilen.
Es soll noch drei weitere Kinder geben
Und es gibt noch drei weitere ältere Kinder, die bereits vor einigen Jahren geflohen sein sollen. Das sagen andere Verwandte, und das bestätigt auch die Polizei. Doch bislang haben die sich noch nicht zu Wort gemeldet.
Auch der Österreicher soll einer Sekte angehört haben. Der Vater und der Österreicher kennen sich schon lange und hatten auch ein gemeinsames Unternehmen. Die Geschäftsräume wurden nun durchsucht. Die Polizei untersucht auch, woher die große Summe Geld stammt, die auf dem Hof gefunden wurde. Zehntausende Euro sollen es sein, so berichteten Medien.