Jahresrückblick Ist der Flamingo das neue Einhorn?

Köln (dpa) - Der deutsche Winter macht es einem gerade nicht einfach. Es ist garstig kalt, nass, meist dunkel. Bildlich gesprochen ist Deutschland gerade Kohlrabe und Wirsing.

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Umso mehr lohnt in diesen Tagen daher ein kurzer Rückblick auf die Motive, die den Stil des Jahres 2017 geprägt haben - vor allem im Sommer. Da war Deutschland nämlich ganz anders. Da war Deutschland Flamingo, Melone, Ananas.

Schon seit einiger Zeit breitet sich eine Südsee-Ästhetik in Deko-Geschäften, bei Modeketten, in Supermärkten und Nippes-Lädchen aus. 2017 könnte man als vorläufigen Höhepunkt bezeichnen. Eis in Melonen-Form, Ananas-Spardosen, Flamingo-Bleistifte und natürlich allerlei bedruckte Shirts: Hielt es bis vor kurzem noch jeder halbwegs ambitionierte Produzent von Konsumgütern für kreativ, ein Einhorn auf seine Artikel zu drucken, sind nun die Exoten dran.

Die Frage, warum die Südsee-Welle gerade in diesen Zeiten so über das Land schwappt, ist nicht ganz leicht zu beantworten. „Wir reden hier von Design. Und Design besteht — neben Neuem — aus Zitaten von früher. So ist es auch erkennbar hier der Fall. Man denke an das Hawaii-Hemd, das in den 50ern und 60ern in Europa sehr beliebt wurde“, sagt Ute Ritterfeld, Professorin für Sprache und Kommunikation an der TU Dortmund. Der Unterschied: „Damals hatte es noch den Touch des Prolligen“, sagt Ritterfeld.

2017 war ein Jahr im Fahrwasser komplizierter Umbrüche. 2016 irritierten der Brexit und die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Die behaglichen, sicher geglaubten Verhältnisse gerieten ins Wanken. Nicht wenige Menschen haben Sehnsucht nach einer anderen Welt. Womöglich nach einer Welt, in der Flamingos leben.

Forscherin Ritterfeld ist bei derartigen Weltflucht-Theorien skeptisch. „Als Ausdruck von Eskapismus würde ich es nicht unbedingt ansehen. Eskapismus gibt es immer, Fernweh auch“, sagt sie. Man dürfe nicht vergessen, dass es oft schlicht das Angebot sei, das eine Entwicklung treibe. „Wenn es überall in den Läden steht, ist man geneigt zu sagen: Dann kauf ich das eben auch.“

Dennoch ließen sich natürlich Hypothesen aufstellen. Tatsächlich sei interessant, dass exotische Muster und knallige Farben auch im Deutschland der Nachkriegszeit populär wurden — als man Schutt und Asche, dem Grau in Grau entfliehen wollte. „Womöglich spiegelt das ein Gefühl, das heute auch wieder viele Menschen haben, obwohl wir in deutlich sichereren Zeiten leben. Die Hinwendung zum Hedonismus, als Statement gegen die Furcht“, sagt Ritterfeld.

Gerd Müller-Thomkins, Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts in Köln, verweist darauf, dass Eskapismus in der Mode aktuell schon eine große Rolle spiele. „Wenn ich mit tropischen Früchten, Flamingos und Papageien visuell hausieren gehe, ist das ein Ausdruck dessen, dass ich mich mental momentan lieber in der Südsee verorte als in Köln-Ehrenfeld“, fasst er zusammen. „Sonst könnte ich auch Kastanien-Motive tragen.“

Warum aber ausgerechnet Ananas und Melone? Nun, populäre Motive haben mitunter auch etwas mit Akzeptanz im Zeitgeist zu tun, meint Müller-Thomkins. „Wenn man die Vielfalt der Bikinifigur orientierten Ernährungsratgeber betrachtet, dann scheint die Frau im Sommer mit Melone und Ananas bei den Früchten auf Nummer sicher gehen zu können“, sagt er.

Wer vor diesem Hintergrund mit einer entsprechenden Shopping-Tour liebäugelt, sollte dennoch aufpassen, was er sich da genau zulegt. Es komme natürlich immer auf die jeweilige Person an, sagt Modeberater Andreas Rose aus Frankfurt/Main. Er ordnet den Exotik-Trend auch im Retro-Bereich ein. Einen kompletten Look dieser Art empfiehlt er nicht direkt - lieber ein einzelnes Teil wie einen Schal oder ein Shirt. „Wenn Sie eine gewisse Reife haben, kann es ansonsten schnell billig wirken.“