Jack White rettet das gute alte Rockkonzert
Berlin (dpa) - Ein Mann mit vielen Talenten, für manche Fans und Kritiker sogar der wichtigste Rockmusiker des zurückliegenden Jahrzehnts: Jack White fasziniert und begeistert.
Jetzt auch auf deutschen Konzertbühnen. Der letzte Gitarrengott, Erneuerer des Blues, gewiefter Label-Boss und genialer Produzent: Auf Jack White wurden schon viele Hymnen gesungen. Mit seinem ersten Solo-Album „Blunderbuss“ erklomm der 36-Jährige im Frühjahr weltweit die Spitze der Charts (in Deutschland immerhin Platz 3), und das ohne ernsthafte Zugeständnisse an den Kommerz. Ihm scheint alles zu gelingen - auch live: In Berlin rettete Jack White am Dienstagabend zum Auftakt seiner Deutschland-Auftritte mal eben das gute alte Rockkonzert - und eroberte sich ganz nebenbei seinen berühmtesten Song zurück.
„Seven Nation Army“, die Hymne mit dem prägnanten Gitarrenriff, war zuletzt in den Fußball-Stadien gelandet. Auch bei der Fußball-EM in Polen und der Ukraine ist der Blues-Refrain allerorten zu hören, meist grauenhaft verhunzt und zergrölt. Im Berliner Tempodrom spielte der Amerikaner diesen Klassiker der Rock-Neuzeit als letzte Zugabe so ekstatisch, dass wohl keiner der gut 3000 Besucher jemals wieder eine Karaoke-Version davon gelten lassen wird.
Ein klarer Sieg über den Mainstream, und es war nicht der einzige. Mit seiner fünfköpfigen Begleitband zerlegte der so muskulöse wie ätherisch-blasse White uralten Blues, Hardrock, Punk, Country und Soul in ihre Einzelteile, um all das dann in atemberaubenden Neuschöpfungen wieder zum Leben zu erwecken. Aus seiner E-Gitarre holte der in Detroit geborene, jetzt in Nashville lebende Musiker Töne heraus, die den Glauben an die rohe Kraft dieser Musik zurückgaben.
„The Hardest Button To Button“ und „Ball And Biscuit“ - zwei eher spartanisch angelegte Songs des grandiosen Albums „Elephant“ seiner Ex-Band The White Stripes - pumpte White mit wuchtigen Soli zu monumentalen Bluesrock-Epen auf. „Steady As She Goes“, der Hit seiner Zweitband The Raconteurs, wurde kaum weniger bejubelt. Aber auch brandneues Material erwies sich als überaus konzerttauglich - nicht umsonst heißt das aktuelle Album „Blunderbuss“, also Donnerbüchse. Wie entfesselt klimperte White am Kneipenklavier („Trash Tongue Talker“) und ließ als Sänger eine verblüffende Nähe zum großen Robert Plant von Led Zeppelin erkennen - nicht die schlechteste Referenz.
Das ohne jeden Lightshow-Schnickschnack auskommende, hoch konzentrierte Berliner Jack-White-Konzert stellte triumphal unter Beweis, dass die schon so oft totgesagte Rockmusik auch nach rund 60 Lebensjahren noch quicklebendig ist. Andere traditionsbewusste Virtuosen-Bands wie The Black Keys oder Wilco füllen in den USA riesige Hallen, sie sind auch in Deutschland Kritiker- und Publikumslieblinge. Wenn Rock amerikanischer Bauart so kreativ und stilbewusst daherkommt, muss man sich um seine Zukunft kaum sorgen.
White, der neben zahllosen Alben, Produktions-Jobs, Talentförderung und Filmauftritten auch noch sein Vinyllabel Third Man Records mit leichter Hand lenkt, wurde kürzlich vom britischen „Guardian“ zum „Lionel Messi des Rock“ geadelt. Wie der argentinische Weltklassestürmer macht der Musiker selbst wenig Wind um sein Talent. „Ich habe einfach ein paar Songs geschrieben und aufgenommen“, sagte White kürzlich dem „Musikexpress“ über den Entstehungsprozess seines Solo-Debüts. „Erst später wurde mir klar, dass es vielleicht doch ein bisschen mehr ist.“
Eine sympathische Untertreibung: „Blunderbuss“ dürfte am Ende eines der besten Alben des Jahres sein, und Jack Whites Konzerte werden zu den Live-Höhepunkten 2012 gehören.