80 Euro pro Rotkehlchenportion Jagd auf Zugvögel: Zyperns Naturschützer schlagen Alarm

Athen/Nikosia (dpa) - Die Luft ist erfüllt von verzweifeltem Flattern und Fiepen. Dazwischen hört man die lauten Rufe zweier Wilderer, die immer mehr Vögel in ein weit aufgespanntes Netz treiben.

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Anschließend pflücken die Männer die Tiere mit geübten Griffen aus dem feinmaschigen Geflecht und füllen sie in Plastikeimer.

Die Videoaufnahmen der britischen Vogelschutzorganisation RSPB (Royal Society for the Protection of Birds) sind nichts für schwache Nerven. Aufgenommen wurden sie im Herbst 2016 auf der Mittelmeerinsel Zypern, wo Erhebungen zufolge allein zu diesem Zeitpunkt wieder mehr als 2,3 Millionen Wildvögel der illegalen Jagd zum Opfer fielen.

Wenn die Zugvögel im Frühjahr nach Deutschland zurückkehren, ist ihre Zahl also längst nicht nur auf natürliche Weise dezimiert. Die Jagd auf kleine Vögel ist im ganzen Mittelmeerraum verbreitet. In Südfrankreich ebenso wie auf Malta, in Italien und eben auch auf Zypern - die drittgrößte Mittelmeerinsel ist bei Zugvögeln als Zwischenstation besonders beliebt.

Und das wird vielen Tieren zum Verhängnis, denn „Ambelopoúlia“ (Weinbergvögel) gelten dort als Delikatesse. Bis zu 80 Euro lassen sich die Zyprer eine Portion der nur wenige Gramm schweren Singvögel kosten, obwohl deren Verkauf längst verboten ist. Von der wahllosen, umfassenden Jagd sind Vogelschützern zufolge mehr als 150 Vogelarten betroffen, von denen 78 auf der EU-Liste gefährdeter Arten stehen.

In örtlichen Restaurants und Tavernen angeboten werden unter anderem Nachtigallen, Mönchsgrasmücken, Bienenfresser, Rotkehlchen, Weidenlaubsänger und Singdrosseln. Sie stehen nicht auf der Speisekarte, sondern werden unter der Hand gehandelt.

Allein das zeige schon, dass man es auf Zypern mit einer Art Vogelmafia zu tun habe, sagt Tassos Shialis, der als Mitglied der Umweltschutzorganisation Birdlife Cyprus den Nationalen Aktionsplan gegen illegale Vogeljagd koordiniert. „Die Jagd ist zum Wirtschaftsfaktor geworden, es handelt sich im Grunde um organisierte Kriminalität. Deshalb ist es auch so schwer, dagegen anzukämpfen.“

Rund 15 Millionen Euro schlagen die illegalen Jäger pro Jahr um - schwarz, versteht sich. Die Schätzung stammt aus dem Jahr 2010 und dürfte sich kaum nach unten verändert haben. Wie viele Wilderer auf Zypern derzeit ihr Unwesen treiben, vermag Shialis nicht zu sagen - die Zahl könnte in die Tausende gehen. Dies schließt Mafiastrukturen genauso ein wie Hobbyjäger, die ihre Beute selbst essen.

Nach Erhebungen der Umweltschützer spannten sie im vergangenen Herbst mindestens 21 Kilometer engmaschiger Netze und hängten unzählige Leimruten auf. Obendrein wurden Lockruf-Geräte installiert. In die Fallen geraten auch viele nicht essbare Vögel, darunter der Zyprische Steinschmätzer, den es nur auf der Mittelmeerinsel gibt, sowie der Wiedehopf und verschiedene Eulen-Arten.

Besonders perfide: Die Wilderer pflanzen im großen Stil Akazienbäume und bewässern sie mit den knappen Wasserressourcen der Insel, um ihre Netze aufzuspannen. Die Bäume werden von den Vögeln gerne als Anflugstationen genutzt, sind aber auf Zypern gar nicht heimisch. Sie haben - abgesehen von ihrem Einsatz für die illegale Vogeljagd - auch negative Folgen für die dortige Flora und Fauna.

So kämpfen die Vogelschützer von Birdlife Cyprus an vielen Fronten - und das gefühlt weitgehend vergebens, obwohl sie durchaus Fortschritte erzielen. Über den Europarat organisierte man 2011 die erste EU-Konferenz gegen illegale Vogeljagd und verabschiedete die „Deklaration von Larnaka“, die null Toleranz gegen die illegale Jagd der Tiere propagierte. Auf Zypern sind zudem längst Gesetze in Kraft getreten, die das Wildern unter Strafe stellen.

Im Alltag helfen sie allerdings herzlich wenig, erklärt Vogelschützer Tassos Shialis. „Die festgelegte Höchststrafe für illegalen Vogelfang beträgt 17 000 Euro oder bis zu drei Jahre Gefängnis.“ In Wirklichkeit aber sei noch nie jemand für Wilderei ins Gefängnis gekommen. Die verhängten Strafen für ertappte Wilderer bewegten sich bei lediglich 600 bis 800 Euro. „Dieses Geld wird einkalkuliert - ein Wilderer kann pro Saison bis zu 20 000 Euro verdienen. Im Zweifelsfall spannt er einfach noch mehr Netze auf.“

Ein weiterer Kampf gilt den Akazien - hierzu hatten die Vogelschützer sogar die Briten mit einbezogen, die in der Republik Zypern zwei große Militär-Stützpunkte unterhalten. Selbst der britische Thronfolger Prinz Charles engagierte sich: 2014 rief er dazu auf, das „barbarische Abschlachten“ der Singvögel zu stoppen. Es wurden extra 150 Soldaten ausgeschickt, die Akazien auf Militärgrund zu fällen. Und sofort wieder abgezogen, als Dorfbewohner und sogar Abgeordnete der betreffenden Regionen auf die Barrikaden gingen.

„Unsere Regierung setzt die vorhandenen Möglichkeiten der Strafe leider nur begrenzt ein - und die Briten möchten es sich mit den Zyprern nicht verderben“, sagt Tassos Shialis. Die höchste Strafe, von der er wisse, sei gegen einen Wirt verhängt worden. Der musste 10 000 Euro zahlen, weil er 2000 Singvögel in der Tiefkühltruhe gelagert hatte. Touristen bekommen von der Problematik nicht viel mit, ergänzt er. Auf die Frage, ob man als Tourist etwas tun könne, sagt er: „Absolut - aber nicht, indem man der Insel aus Protest fernbleibt.“ Das würde dem Vogelschutz einen Bärendienst erweisen und alle Zyprer gegen die Aktivitäten von Birdlife Cyprus aufbringen.

„Vielmehr arbeiten wir derzeit mit unserer Tourismus-Organisation daran, dass die Menschen auch wegen der Natur und der Vögel herkommen“, so Shialis. Wer möge, könne sich angesichts der Wilderei bei der Tourismus-Organisation oder den Hoteliers beschweren, um vor Ort das Bewusstsein für die Problematik zu erhöhen.

Die Einladung, auf Zypern Vögel zu beobachten, gelte auch ohne politischen oder umweltschützenden Hintergrund, sagt er noch. Denn auf der Insel sind im Herbst und Winter viele Singvögel unterwegs, die den Frühling und Sommer bei uns in Mitteleuropa verbringen.