Jetzt hat Ikea seine erste Öko-Filiale
Photovoltaik, Blockheizkraftwerk und Recycling-Material: Der schwedische Einrichter setzt in Kaarst ganz auf Nachhaltigkeit.
Kaarst. Kaarst war eine der ersten Filialen, die der schwedische Möbelkonzern Ikea 1979 in Deutschland eröffnete. Stadt und Umland profitierten von der großen Anziehungskraft dieses ungewöhnlichen, „unmöglichen“ (wie Ikea damals warb) Möbelhauses. Es war eine Zeit, in der junge Leute neue Wohnwelten schufen. Billy-Regale und Pax-Schränke wurden in flachen Kartons verkauft — mit Inbusschlüssel, viel Geduld und wenig Geschick konnte man sie zu Hause selbst zusammenbauen. Das war neu, modern und günstig sowieso.
38 Jahre später sind die Zeiten andere, aber 38 Jahre später ist Ikea seiner Zeit erneut voraus. 2,5 Kilometer vom alten Standort entfernt, eröffnete der Möbelriese gestern sein weltweit erstes „More Sustainable Store“, ein Öko-Vorzeigehaus. Rund 100 Millionen Euro investierten die Schweden in die Filiale, ein Drittel mehr als sonst üblich. Es geht nicht allein um Energieeffizienz, sagt Ikea. Das Thema Nachhaltigkeit soll in all seinen Facetten abgebildet werden. Dazu zähle auch das moderne Architekturkonzept: Die einzelnen Gebäudeteile sind durch begrünte Terrassen miteinander verbunden, große Fensterflächen lassen viel Tageslicht hinein und auch die Holzfassade sowie die grüne Gestaltung der Außenbereiche — die in Kooperation mit dem Nabu entstanden sind — passen bestens zum berühmten Slogan „Wohnst du noch oder lebst du schon?“
Ikea setzt auf Photovoltaik, Solarthermie und ein Blockheizkraftwerk. In die Planung gingen zahlreiche Anregungen von Kunden und Mitarbeitern ein, sodass eine Plaza mit Bäumen, Sonnenterrassen und einem Café auf dem Dach entstanden ist. Verkauft werden im Café „Grön“ — das an ein Gewächshaus erinnert — Kuchen vom Bäcker aus der Region und Schweden-Klassiker wie die Zimtschnecke.
Das wachsende Umweltbewusstsein ist auch dem Ikea-Geschäft zuträglich. Im ganzen Haus weisen Tafeln auf die Nachhaltigkeit hin: „Mit ein paar kleinen Handgriffen kannst du Energie und Wasser sparen, Abfall reduzieren und Gutes für dich tun“, heißt es da beispielsweise auf einem der Schilder. Die schwarzen Küchenfronten Kungsbacka bestehen aus Recyclingholz, das mit einer Kunststoffoberfläche aus wiedergewonnenen PET-Flaschen überzogen ist. „Eine nachhaltige Wahl ohne Kompromisse“, steht auf dem Preisschild. Sprich: Die Möbel sind nicht nur hip, sondern auch ökologisch verträglich.
Verkehrstechnisch lief zur Eröffnung über die neue Brücke und Kreisstraße alles rund am ersten Verkaufstag. Das große Verkehrschaos blieb aus. Ordner lotsten freie Parkplätze zu. Vertreter von Stadt, Kreis und Ikea übergaben gegen 10 Uhr das neue Einrichtungshaus mit einer Baumpflanzaktion und dem Durchschneiden des obligatorischen Bandes an die Besucher. „Unser Ziel war es, die drei Säulen Ökologie, Ökonomie und Soziales bestmöglich in Einklang zu bringen“, sagt Ikea-Expansionschef Johannes Ferber. „Das ist ein absolut emotionaler Moment für mich“, freut sich auch Store-Manager Stephan Laufenberg kurz vor der Eröffnung bei einem gemeinsamen Frühstück im Restaurant mit geladenen Gästen. Nach 20-jähriger Planung ist das neue Ikea-Haus endlich offen. Kaarst mit seinen 44 000 Einwohnern sei jetzt immerhin eine Welthauptstadt von Ikea, scherzt Landrat Hans-Jürgen Petrauschke.
Hunderte Mitarbeiter klatschen und stehen Spalier, als die ersten Kunden das Möbelhaus betreten. Im „More Sustainable Store“ ist einiges anders, doch vieles erinnert auch an die anderen Filialen. So weisen auch an der Hans-Dietrich-Genscher-Straße Leuchtpfeile durch den Parcours, auf dem jeder partout am gesamten Möbelsortiment vorbeikommt. 5977 Schritte zeigt dann auch die Schrittzähler-App am Ende an. Erfahrene Kunden nutzen schon zielsicher die bekannten Abkürzungen, um schnell zur Kasse zu kommen. Andere sind noch ein bisschen orientierungslos. „Es ist riesig und noch ein wenig unübersichtlich“, sagt Carsten Radloff, der aus Erkrath mit seiner Familie nach Kaarst gekommen ist und eine Kommode kaufen will. Barbara Kerstin aus Grefrath hat es nicht weit. Ja, das mit der Nachhaltigkeit findet sie gut, sagt sie, jetzt wolle sie aber nur eine Schreibtischlampe kaufen — und packt doch noch schnell das Kuschelkissen „Stockholm“ in die gelbe Umhängetasche.
Mitarbeiter Menua Soleomani arbeitet eigentlich in der Filiale Berlin-Tempelhof und springt nur in dieser Woche ein. Er ist von der fröhlichen Eröffnungs-Atmosphäre begeistert. „Gute Luft und das Tageslicht machen viel aus.“
Am Ausgang gibt es natürlich auch das Ikea-Bistro. Eine Belohnung nach dem Bummel ist drin. Fünf „Köttbullar to go“ kosten 50 Cent. Die Wahl fällt aber dann doch auf den klassischen Hotdog — für 1,50 Euro inklusive Kaltgetränk.