Joseph Beuys avanciert in Salzburg zum Opernhelden
Salzburg (dpa) - Eigentlich sollte zur Eröffnung des Opernprogramms der Salzburger Festspiele 2013 eine Uraufführung gezeigt werden. Weil der Komponist nicht fertig wurde, gab es eine umjubelte Opernrarität des Briten Harrison Birtwistle.
Der lettische Opernregisseur Alvis Hermanis ist ein Fan von Joseph Beuys. In seiner Neuinszenierung von Harrison Birtwistles Opernrarität „Gawain“, die bei den Salzburger Festspielen herauskam, wimmelt es von Zitaten des Künstlers, der in den 60er und 70er Jahren mit seinen Objekten und Installationen aus Fett und Filz Furore machte. Am Ende stand großer Jubel für alle Beteiligten.
Besonders der 79-jährige britische Komponist wurde vom Premierenpublikum minutenlang gefeiert. Eigentlich sollte anstelle von „Gawain“ eine neue Oper des ungarischen Komponisten György Kurtág in Salzburg gezeigt werden, der jedoch nicht rechtzeitig fertig wurde. Ein Notnagel war diese Aufführung gewiss nicht.
Hermanis lässt sogar eine von Beuys’ berühmtesten Schöpfungen nachbauen, ein „Rudel“ von Holzschlitten mit Filzrollen, Taschenlampen und Fettklumpen auf der Sitzfläche, das von einem VW-Bus gezogen wird. Die Riesen-Bühne der Felsenreitschule hat Hermanis in eine apokalyptische Endzeit-Szenerie verwandelt. Auf der linken Seite sieht man in einem von Neonlicht erhellten Bunker zerlumpte Überlebende einer globalen Öko-Katastrophe. Zu Kannibalen geworden, fallen sie über eine Leiche her.
Dabei laufen Filmsequenzen jenes Tsunami, der 2011 die japanische Küste verwüstete und einen Atom-Gau auslöste. Auf der anderen Seite der Bühne türmt sich ein bemooster Haufen Schrottautos - langsam erobert sich die Natur die Reste der Zivilisation zurück.
Mit Beuys hat diese düstere Vergegenwärtigung des märchenhaftes Musikdramas aus dem Sagenkreis des Königs Artus auf den ersten Blick wenig zu tun. Doch für Hermanis ist Beuys eine Art Öko-Messias, der Mensch und Natur in mystischer Überhöhung zu versöhnen suchte. Gawain selbst ist Beuys, zu erkennen an seinen Markenzeichen, dem breitkrempigen Hut und der Vielzweckweste. Sein Zweikampf mit dem unsterblichen, sich immer wieder erneuernden Grünen Ritter symbolisiert diesen ewigen Kampf zwischen Zivilisation und Natur, aus dem die Natur letztlich als Sieger hervorgeht.
Ebenso düster und drohend wie die Szene wirkt Birtwistles Soundtrack: viel tiefe Streicher, gestopftes Blech, dumpfes Trommel-Gewummer. In langen Wellen, von metallisch-klirrenden oder grell pfeifenden Eruptionen unterbrochenen, wabert die Musik gleich zäher Lava durch den Raum. Regelmäßig wiederkehrende Leitmotive erleichtern das Zuhören, etwa die wuchtigen Schläge, die das Erscheinen des Grünen Ritters im Menschen-Bunker ankündigen. Ingo Metzmacher, der vergangenes Jahr in Salzburg schon Bernd Alois Zimmermanns „Soldaten“ dirigierte, leistete drei Stunden Schwerarbeit, um mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien diese Klangmassen zu organisieren.
Trotz einer von Festspielintendant Alexander Pereira angekündigten Indisposition verkörperte der britische Bariton Christopher Maltman die Rolle des Gawain/Beuys überzeugend. Auch der Rest des Ensembles zeigte trotz großer technischer Herausforderungen wenig stimmliche Schwächen, darunter der gleichfalls aus Großbritannien stammende Bass und Opernveteran John Tomlinson als Grüner Ritter im Ganzkörper-Moos-Anzug und die US-Sopranistin Laura Aikin in der Rolle der Morgan le Fay.