Nachruf Kardinal Meisner: Ein kompromissloser Wächter des Glaubens

Der Tod von Kardinal Joachim Meisner fällt in eine Zeit des kirchlichen Aufbruchs, den er selbst bis zuletzt bekämpft hat. Ein Nachruf.

Kardinal Joachim Meisner im März 2014 nach seinem Abschiedsfest vor dem Kölner Dom.

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Köln. Ein Wachhund will nicht spielen, er meint es ernst. Und wenn er sich herausgefordert fühlt, hinterlässt er Wunden. Auch Kardinal Joachim Meisner, der sich selbst als Wachhund Gottes bezeichnete, hat Wunden hinterlassen. Mancher innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche wird auch nach dem Tod des 83-Jährigen nur unversöhnlich auf seine Lebensleistungen blicken können. Vielleicht bedarf es auch einiger Distanz und innerer Unabhängigkeit, um in Meisners scharfen Grenzziehungen und scheints unumstößlichen Glaubensüberzeugungen eine Widerstandsbereitschaft zu sehen, die in ihrer Kompromisslosigkeit gegen andere wie auch gegen sich selbst durchaus Bewunderung hervorrufen konnte.

Kein Mensch ist eindimensional, auch Meisner nicht. In der persönlichen Begegnung entwickelte er mitunter überraschend liebenswürdige Züge — immer dann, wenn es ihm gelang, Misstrauen und Verteidigungsbereitschaft für einen Moment ruhen zu lassen. Eine Erfahrung, die über die Konfessionsgrenzen hinausreichte: „Auch wenn seine Bestimmtheit in Glaubensfragen ihn nach außen mitunter kühl erscheinen ließ, haben wir ihn ganz persönlich als zugewandten Mitbruder erlebt“, reagierte Manfred Rekowski, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, gestern auf die Todesnachricht.

Die rheinische Nonchalance war dem gebürtigen Schlesier schier unerträglich. Dass er es dennoch ein Vierteljahrhundert in Köln an der Spitze des größten deutschen Bistums ausgehalten hat, das ihn nicht wollte und das er nicht wollte, erzählt einiges über Meisners Bereitschaft, sich in den Sturm zu stellen. Diese Bereitschaft mit seiner biografischen Erfahrung als Kind in der NS-Zeit und später als Christ in der DDR bis hin zum Bischof des Bistums Berlin zu begründen, ist wohl mehr als nur Küchenpsychologie.

Wo hört die Standfestigkeit auf und wo beginnt der Starrsinn? Und wie viel unverhandelbare Beharrung benötigt eine Kirche und wie viel Öffnung zur Welt? Die Grenzen sind fließend, aber im Zweifel stand Meisner immer dort, wo er die reine Lehre verortete. Es gehört zur persönlichen Tragik des Mannes, der in Deutschland wie kaum ein anderer Bischof für die Verteidigung eines tradierten konservativ-katholischen Selbstverständnisses eintrat, in seinen letzten Lebensjahren einen nie für möglich gehaltenen Umbruch in seiner Weltkirche miterleben zu müssen.

Seine Päpste waren Johannes Paul II. und noch mehr Benedikt XVI. Dem Polen verdankte Meisner 1983 die Aufnahme in das Kardinalskollegium. Und sechs Jahre danach, im Jahr des Mauerfalls, drückte Johannes Paul II. den damals 55-Jährigen gegen alle Widerstände als Kölner Erzbischof durch. Unvergessen ist, wie Meisner später mit der Unterstützung Roms in Deutschland den Ausstieg der katholischen Kirche aus der Schwangerschaftsberatung betrieb.

Als 2005 der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger zum Nachfolger des verstorbenen Johannes Paul II. gewählt wurde, wähnte sich Meisner am Ziel aller Träume. Dem früheren Präfekten der Glaubenskongregation und dessen scharfen Intellekt traute er die Verteidigung und Behauptung der katholischen Kirche in einer zunehmend gottloseren Welt zu. Und mit dem guten Draht nach Rom trumpfte Meisner ein ums andere Mal in der deutschen Bischofskonferenz gegen seine liberaleren Widersacher auf, namentlich den langjährigen Vorsitzenden Karl Lehmann.

Es ist ein Zufall, aber ein bezeichnender, dass Papst Franziskus kurz vor Meisners Tod entschied, den konservativen deutschen Kardinal Gerhard Ludwig Müller nicht länger an der Spitze der Glaubenskongregation zu belassen. Die Verfolgung der Irrlehre hat innerhalb der katholischen Kirche an Bedeutung verloren. Meisner hat dem zu widerstehen versucht, ein letztes Mal, mit jenem unverfrorenen öffentlichen Brief, den er im vergangenen September mit drei Kardinalskollegen zum päpstlichen Schreiben „Amoris Laetitia“ verfasste. Das Aufbegehren wirkte da inmitten der Aufbruchstimmung schon wie aus der Zeit gefallen.

Der Tod soll Meisner friedlich begegnet sein. Der Kardinal sei mit einem Gebetbuch in den Händen aufgefunden worden, teilte sein Kölner Nachfolger Erzbischof Rainer Maria Woelki mit. Dass er nun Gott schauen wird, auch daran hat Meisner keine Zweifel zugelassen. In seiner Predigt zum Allerseelentag 2008 im Kölner Dom sagte er über Friedhöfe: „Hier ist in Wirklichkeit der Vorhof des Reiches Gottes.“