Kein Bock auf Krise: „Rettungsroutine“ ist Wort des Jahres
Wiesbaden (dpa) - Dass sich ein Ausnahmezustand fast schon wie Alltag anfühlt, erklärt, wie das Wort „Rettungsroutine“ in den Sprachgebrauch übergehen konnte. Gemeint ist nicht die medizinische Arbeit - 2012 wurde vor allem die Eurozone in die Notaufnahme geschickt.
Wiesbaden (dpa) - Sprachforscher haben „Rettungsroutine“ zum Wort des Jahres 2012 gewählt - aus Überdruss an der fortdauernden Staatsschulden-Krise. „Alle paar Wochen werden neue Pakete geschnürt“, sagte der Vorsitzende der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS), Prof. Armin Burkhardt, am Freitag in Wiesbaden zur Begründung der Jury-Entscheidung. Europas instabile Wirtschaftslage beschäftige die Öffentlichkeit seit langem. Im Frühjahr hatte der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach „eine Art Rettungsroutine“ beklagt, die sich bei den Euro-Hilfen eingestellt habe.
2011 hatten die Forscher „Stresstest“ zum Spitzenreiter gekürt. Wie jeden Dezember wählte die Jury der GfdS zehn Ausdrücke, die ihrer Meinung nach eine sprachliche Chronik des Jahres ergeben. Die Vorgänge um Ex-Bundespräsident Christian Wulff schafften es mit dem neuen Verb „wulffen“ - wütende Nachrichten auf einer Mailbox hinterlassen - auf Platz fünf.
Das Schicksal der „Schlecker-Frauen“ wollte die Jury zwar würdigen, setzte das an Trümmerfrauen angelehnte Wort aber nur auf Platz vier. Monatelang hatten die Beschäftigten der insolventen Drogeriekette um ihre Jobs gebangt. Die bahnbrechende physikalische Entdeckung des Higgs-Bosons-Teilchens machte die Welt 2012 auf das „Gottesteilchen“ aufmerksam. Er hätte sich dieses Wort als Nummer eins vorstellen können, sagte Burkhardt. Es landete auf Platz 7.
„Rettungsroutine“ wird viel seltener benutzt als frühere Spitzenreiter wie „Wutbürger“ (2010) oder „Abwrackprämie“ (2009). In den 470 000 Artikeln, die alle deutschsprachigen Dienste der Nachrichtenagentur dpa dieses Jahr bis zum Veröffentlichungstag des diesjährigen „Wort des Jahres“ verbreiteten, kam der Begriff „Rettungsroutine“ nur ein einziges Mal vor.
Sprachforscher Burkhardt konnte dem Wort des Jahres 2012 trotzdem etwas abgewinnen. Es sei paradox komponiert: Eine Rettung sei eigentlich einmalig und abgeschlossen, dagegen stehe Routine für einen wiederkehrenden Vorgang. Zusammengesetzt sei das Wort „Ausdruck dieses Überdrusses an der Retterei“, sagte Burkhardt.
Ungewohnt offen berichteten die Mitglieder der von Professoren und Sprachforschern dominierten GfdS-Jury diesmal von den Schwierigkeiten ihrer Abstimmung. Ähnlich sperrig wie der Spitzenreiter lesen sich auch die nächsten Platzierungen. „Kanzlerpräsidentin“ kritisiere den Regierungsstil von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die oft scheinbar überparteilich agiere, obwohl sie auch CDU-Vorsitzende sei. Die „Bildungsabwendungsprämie“ nannte Burkhardt ein gelungenes „politisches Gegenschlagwort“ gegen das umstrittene Betreuungsgeld.
Auf den Plätzen landeten auch die giftig klingende „Netzhetze“ als deutsches Gegenstück zum Shitstorm und das „Punk-Gebet“, das an den Protest der russischen Band „Pussy Riot“ gegen Präsident Wladimir Putin erinnert. Die endlosen Bauverzögerungen am neuen Berliner Airport trugen ihm den Spitznamen „Fluch-Hafen“ ein. Der Ausdruck „ziemlich beste“, Zitat aus dem Filmtitel „Ziemlich beste Freunde“, werde mittlerweile umfassend genutzt, um Superlative infrage zu stellen, erklärte die Jury.