Keine Rettung für Margarete in Salzburg

Salzburg (dpa) - Rien - nichts. In kalten Neonbuchstaben schwebt dieses unheilvolle Wort über der Studierstube des Dr. Faust.

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Auf einem riesigen Ohrensessel, umgeben von Papierstapeln, hadert der Gelehrte mit dem Unsinn seines „heißen Bemühens“, die Welt zu erfassen, und wirft sich schließlich in Gestalt des Mephisto dem schalen, schnellen Glück des Augenblicks in die Arme.

In der letzten Opernneuinszenierung der diesjährigen Salzburger Festspiele deutet Reinhard von der Thannen, Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner in Personalunion, Charles Gounods berühmte „Faust“-Vertonung als Parabel auf eine nihilistische Augenblicksgesellschaft - und erntet dafür wütende Buhrufe.

„Werd ich zum Augenblicke sagen:/Verweile doch! Du bist so schön/Dann kannst du mich in Fesseln schlagen,/Dann will ich gerne zugrunde gehn!“. Mit diesem berühmten Satz des weisen Johann Wolfgang von Goethe entschlüsselt sich von der Thannens klinisch-kaltes Bühnensetting. Die Protagonisten der Oper und mit ihnen das Publikum befinden sich im Inneren eines Augapfels. Die Welt sehen sie nur durch eine, mal matt, mal klar erscheinende Augenlinse.

In diesem Sehorgan entspannt sich das Musik- und Menschheitsdrama, das Gounod und seine Librettisten ganz auf die sogenannte Gretchentragödie konzentriert haben: Die junge Margarete, die Mephisto seinem Faust zuführt, wird von diesem geschwängert und sitzen gelassen. Von aller Welt verlassen und verflucht von ihrem sittenstrengen Bruder, tötet sie ihr Kind und wird ins Gefängnis geworfen. Rettung gibt es nicht für sie, zumindest in dieser rabenschwarzen Inszenierung.

Dass der fast vierstündige Opernabend im Großen Festspielhaus streckenweise verblüffend an die Arbeiten von Hans Neuenfels erinnert, dem großen, alten Mann des Regietheaters, der bei der Premiere selbst anwesend war, ist wenig verwunderlich. War doch Reinhard von der Thannen viele Jahre der Leib-Bühnenbildner des Meisters. Die kühl-modernistische Optik, die stark stilisierten, zeichenhaften Bühnenobjekte, die merkwürdig als Clowns ausstaffierte Soldateska - nicht nur einmal gab es ein Déjà-vu.

In den ersten drei von fünf Akten gewinnt die Inszenierung nur langsam an Fahrt. Mephisto, gesungen von dem mächtigen russischen Bass Ildar Abdrazakov, kommt ein wenig zu harmlos daher, kein diabolischer Verführer, sondern so etwas wie ein Alter Ego des Faust, die Inkarnation seiner geheimen Wünsche und Begierden. Später gleichen sie sich optisch mehr und mehr an, bis sie sich nicht mehr unterscheiden. Faust ist Mephisto, Mephisto ist Faust.

Mit der überzeugend choreographierten Ermordung Valentins - der russische Bariton Alexey Markov macht in dieser Rolle eine glänzende Figur - kommt das Bühnengeschehen in Fahrt. Jetzt gelingt es von der Thannen, seinen Charakteren Konturen zu geben. Abdrazakov steigert sich zu teuflischer Größe, der polnische Startenor Piotr Beczala als Faust wirkt weniger fahrig und die italienische Sopranistin Maria Agresta verleiht ihrer Margarete glaubhaft tragische Züge. Auch aus dem Orchestergraben - der Argentinier Alejo Pérez leitet die Wiener Philharmoniker und den Philharmonia Chor Wien - tönt es jetzt dichter und weniger gelassen wohltönend als zuvor.

Rettung gibt es, wie gesagt, nicht für Margarete, die ihren Faust auch im Gefängnis immer noch liebt. Zu den finalen Orgelsequenzen senken sich riesige Orgelpfeifen wie Speere auf die Kindsmörderin herab. Das „Gerichtet!“ des Mephistopheles obsiegt über das „Gerettet!“ der Stimme von oben. Dann verschwinden die Orgelpfeifen im Bühnenhimmel und die „Rien“-Neonschrift erscheint aufs Neue. Das Leben als sinnlose Narretei, neu ist die Botschaft nicht, aber immerhin eine Botschaft. Großer Jubel für die Sängerinnen und Sänger, etwas weniger großen für das Orchester und ein Buhorkan für den Regisseur.