Kunstprojekt: Traumwelten im Schlagloch
Steve Wheen verwandelt tiefe Löcher auf Straßen in kleine Kunstwerke. Die Sehnsucht nach Grün treibt den Asphalt-Charmeur an.
London. Jeder hasst sie, doch einer sieht in ihnen eine zauberhafte Chance: Gemeine, felgenfressende Schlaglöcher kultiviert ein Asphalt-Charmeur im Osten der Hauptstadt seit Jahren als Blumenbeete. Heimlich bepflanzt er die Straßenkrater, arrangiert in ihnen kleine Traumwelten aus Mini-Möbeln — und verschwindet leise. Weil die Idee weltweit für Furore sorgt, hat sich Steve Wheen, ein 34-jähriger Australier, nun doch geoutet.
Es war die Sehnsucht nach Opas Narzissen, die Wheen vor fünf Jahren zum ersten Mal mit Grünzeug und Blumenerde vor die Tür gelockt hat. Für ein Uni-Seminar sollte er ein Projekt mit einem Blog begleiten. Lange musste der und Gartenliebhaber nicht nachdenken: Heimlich buddelte er ein paar bunte Blumen in den krümelnden Asphalt Londons und fotografierte die Reaktionen der Passanten. „Das Blog bekam plötzlich Tausende Klicks aus der ganzen Welt“, erinnert sich Wheen. Wegen der netten Resonanz hat er es nicht übers Herz gebracht, aufzuhören — also wächst und gedeiht die Aktion Schlagloch-Garten rasant weiter.
„Man spürt, wie sehr Londoner Blumen in ihrer Betonwüste vermissen“, findet Wheen. „Ich bringe ihnen die Natur zurück in die Stadt.“ Und vertreibt nebenbei sein eigenes, gelegentliches Heimweh: „In Australien bin ich mit riesigen Gärten, Gemüsebeeten und einer Narzissenzucht aufgewachsen.“ Heute wohnt er im urban-verlotterten Shoreditch im Osten Londons zur Miete — ohne Vorgarten, ohne Balkon, aber mit einer meilenweiten Schlaglochpiste vor der Tür. Als Radfahrer kennt Wheen die fiesesten Felgenfresser persönlich: „Ich muss nicht lange suchen, auch wenn die Straßen wegen der Olympischen Spiele derzeit auf Vordermann gebracht werden.“
Gelbe Narzissen pflanzt er am liebsten, weil sie im Betongrau am besten leuchten. Beim letzten Schneefall hat er zu roten Tulpen gegriffen und einen winzigen Schlitten und Skier daneben gestellt. Andere Straßenschluchten überbrückt er mit Rasen, malt ein Tennisfeld ein, spannt ein Netz auf und lässt Miniaturschläger und -Rasenmäher zurück. Lilliput-Szenen, die die Fantasie vorbeieilender Großstädter aufs Wesentliche lenken. Schlaglochgeplagte in Japan eifern Wheen bereits nach; demnächst ist er sogar eingeladen, den Mailänder Brö-selasphalt zu verschönern