Literaturkritiker Reich-Ranicki: „Es geht mir nicht sehr gut“
Marcel Reich-Ranicki (92) hat gesundheitliche Probleme. Der Literaturkritiker bestätigt eine Krebs-Diagnose.
Frankfurt. Schon seit einigen Jahren ist er gesundheitlich angeschlagen. Nun hat Marcel Reich-Ranicki offenbart, dass er an Krebs erkrankt ist. Es gehe ihm „nicht sehr gut“, sagte der 92-Jährige am Montag.
Die „Bild“-Zeitung hatte seine Krankheit publik gemacht. Um welche Art von Krebs es sich handelt, wollte der Autor und Kritiker nicht sagen. Immerhin: Er habe keine Schmerzen. Ins Krankenhaus müsse er nicht, er werde zu Hause versorgt.
Dass er aus seiner Erkrankung kein Geheimnis macht, ist typisch für den großen Literaturkenner. Mit seiner Meinung hinter dem Berg zu halten war seine Sache nie. Wenn man ihn anruft, um ihn nach seiner Einschätzung zu fragen zum neuen Nobelpreisträger, der Bedeutung von Literaturpreisen oder über die Lage der Literatur im Allgemeinen, geht er immer ans Telefon.
In den vergangenen Jahren war allerdings zu spüren, dass seine Kräfte nachlassen. Bei kulturellen Veranstaltungen in Frankfurt sah man ihn immer seltener. Ein schwerer Schlag war 2011 der Tod seiner Frau Teofila, mit der er sieben Jahrzehnte lang zusammen war. Die Angst vor dem Tod muss er ständig verscheuchen. „Ich denke täglich daran“, sagte er gewohnt offen in einem Interview vor seinem 90. Geburtstag.
„Das literarische Quartett“ im ZDF, das er von 1988 bis 2001 regelmäßig moderierte, sahen Millionen Menschen. Rund 400 Bücher wurden dort besprochen — und oft zu Bestsellern gemacht. 2006 erklärte er seinen endgültigen Abschied vom „Quartett“, für das er zuletzt noch einige Sondersendungen moderiert hatte. Mit dem Fernsehen verbindet Reich-Ranicki eine Art Hassliebe: 2008 lehnte er vor laufenden Kameras den Deutschen Fernsehpreis ab und wetterte gegen den „täglichen Blödsinn“ auf der Mattscheibe.
„Die Klarheit ist die Höflichkeit des Kritikers, die Deutlichkeit seine Pflicht und Aufgabe“, lautet sein Credo. Allerdings lasse sich dabei Grausamkeit „leider nicht immer ausschließen“. Das bekamen viele Schriftsteller zu spüren, allen voran Günter Grass. Dessen Roman „Ein weites Feld“ bescheinigte er 1995, „wertlose Prosa“ zu sein, „langweilig von der ersten bis zur letzten Zeile, unlesbar!“
Auch Martin Walser und Reich-Ranicki verbindet eine jahrelange Fehde. Diese gipfelte 2002 in Walsers Skandalbuch „Tod eines Kritikers“. Darin kommt ein jüdischer Literaturkritiker zu Tode, unschwer als „MRR“ zu erkennen. Angesichts seiner dramatischen Vita, die er 1999 in seiner Bestseller-Biografie „Mein Leben“ beschrieb, war seine Verletztheit verständlich.
Nach der Geburt in Polen siedelte der junge Marcel mit seiner jüdischen Familie nach Berlin um. Die Nazis wiesen ihn 1938 nach Polen aus. Im Warschauer Ghetto gelang ihm 1943 mit seiner Frau die Flucht. Seine Eltern und die seiner Frau kamen in den Vernichtungslagern um.
1958 kam „MRR“ für immer nach Deutschland. Von 1973 bis 1988 leitete er die Literaturredaktion der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Bis heute schreibt er, seiner Krankheit zum Trotz, eine Kolumne in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.