Marthalers Grönland-Expedition macht ratlos

Wien (dpa) - So ähnlich muss das sein beim Fischen im Eis: Man wartet, lange und geduldig, und irgendwann spannt sich die Schnur. So war wohl ab und zu ein Lachen zu hören in Christoph Marthalers neuem Theaterabend „+/-0“, der von einer Reise nach Grönland inspiriert ist.

Doch insgesamt zeigte sich das Publikum bei der Uraufführung am Donnerstagabend bei den Wiener Festwochen ein wenig enttäuscht von dem Premierenabend. Die theatrale Expedition in den hohen Norden ließ viele Zuschauer etwas ratlos zurück.

Die Bühne ist ein Trainingscamp, zerschlissene Turnmatten lehnen an der Wand, die Verkleidung der Rohrleitungen hängt in Fetzen. Dick vermummte Gestalten kommen herein, legen langsam Fellmütze, Skibrille, Daunenjacken, Thermohosen ab. Ein Handy auf dem Boden klingelt. Erschreckt starren alle darauf: Hilfe, die Außenwelt! Keiner geht ran.

So beginnt die Produktion, die sich im Untertitel „Ein subpolares Basislager“ nennt. Ähnlich rätselhaft liest sich die Produktionsbeschreibung. Er habe sich, so schreibt der Schweizer Regisseur, dem die Bezeichnung „Theaterverweigerer“ ganz gut gefällt, mit der Idee zu diesem Projekt selbst überrascht. Die Überraschung war groß genug, um tatsächlich aufzubrechen und mit Ausstatterin Anna Viebrock eine Expedition ins Eis zu starten.

Mitgebracht hat das Team eine Fülle an Eindrücken. Vor allem aber, schreibt Marthaler: Faszination und „ein Gefühl der Befreiung und Ruhe“, heißt es im Begleittext. Auf der Bühne bemüht sich das klassische Marthaler-Personal, diese Faszination in schlüssige Bilder zu verwandeln: Fragile, melancholische Figuren zwischen Hilflosigkeit und Aufbegehren singen Puccini-Arien und rezitieren Gedichte, referieren über Klimawandel und Sprachverwirrung, scheitern an Witzen und wundern sich über fremdartige Gerüche.

Mit seinen poetisch-musikalischen Produktionen ist Marthaler fixer Stammgast bei den Wiener Festwochen, seitdem Luc Bondy das Festival leitet. Als glanzvolle Höhepunkte gelten dem Stammpublikum seine Inszenierung „Schutz vor Zukunft“, in der er 2005 die Gräuel der NS-Euthanasieprogramme an Kindern in der Wiener Nervenklinik Steinhof thematisierte, oder auch seine Version von Schuberts „Schöner Müllerin“.

Diesmal vermissten viele Marthaler-Freunde die poetische Dichte und die Intensität solcher Abende. „Dünne Suppe“, meinte etwa eine Musikerin, und eine Kollegin pflichtet ihr bei, der Titel +/-0 sage schon alles. Andere fanden immerhin „viel versteckten Witz“. Erste Kritiken hielten am Freitag fest: Selbst aus Sicht von Marthaler-Freunden war es „nicht sein gelungenster Abend“.