Maßanzug, Vollbart und Gin Tonic: Der neue Gentleman
Düsseldorf (dpa/tmn) - Junge Männer begeistern sich für klassische Herrenmode: Maßanzug, Einstecktuch und die Fliege gehören zum Outfit des neuen Gentleman. Aber er sollte sich bitte nicht zu bieder kleiden.
Karrierist, Hausmann, Liebhaber, treu sorgender Vater: An den postmodernen Mann werden heute die verschiedensten Rollenerwartungen geknüpft. Das sorgt erst einmal für Überforderung und Unsicherheit. Vielleicht erklärt sich daraus der Wunsch nach dem Wissen um das richtige Auftreten, nach lässiger Geradlinigkeit und charmantem Understatement. In der Mode zeigt sich dieses Bedürfnis durch eine Renaissance der Herrenkultur. Denn der Gentleman weiß schließlich, wie das Leben zu meistern ist - ohne dass er sich darüber jeden Tag den Kopf zerbrechen muss.
„Es gibt einen Trend zum Gentleman-Mann“, sagt die Modedesignerin Astrid Werle aus Düsseldorf über ihre junge Kundschaft. Junge Herren interessierten sich wieder für klassische Kleiderkultur. „Gerade Männer um die 30, die ins Berufsleben eintreten, wollen Maßanzüge.“ Die Nachfrage sei auf jeden Fall gestiegen. „Der Gentleman-Look eignet sich durchaus auch für den jungen Mann“, bestätigt der Stilautor Bernhard Roetzel aus Berlin. Klassische Herrenmode sei nicht an ein bestimmtes Alter gebunden.
Roetzel erklärt, dass der altbekannte Stil vor allem über eine schmalere Passform des Anzugs modern interpretiert wird. Es werden auch wieder Zweireiher getragen, sagt Astrid Werle. „Durchaus klassisch, aber mit einem jungen Schnitt - nicht so wie der Großvater.“ Die Form sei sehr tailliert. „Es wird genau auf die Figur gearbeitet, die Silhouette sauber gezeichnet.“
Sogar der modebewusste Mann von der Straße, der noch nie in einer Juravorlesung oder einem Assessment-Center saß, bedient sich bei der klassischen Herrenmode. „Es gibt ein Wiederaufleben von dandyhaften Looks mit Fliege, Einstecktuch, Manschettenknöpfen und gut geschnittenen Anzügen“, sagt der Modeblogger David Kurt Karl Roth von der Seite Dandy Diaries. Dabei werden verschiedene Stile miteinander kombiniert, um einen biederen Einheitslook zu vermeiden.
„Es soll niemals spießig rüberkommen“, erklärt Bernhard Roetzel die oberste Maxime des Gentleman-Looks. Das fängt Astrid Werle zufolge beim Aussuchen von Futterstoffen für den Anzug mit frechen Mustern an. „Es dürfen auch mal Pin-Up-Girls darauf sein.“ Dazu kommen bunte Paisley-Stoffe, Knöpfe, ein Hemdunterkragen in knalliger Farbe und ein passendes Einstecktuch. „Das Hemd wird oft hochgeschlossen ohne Krawatte getragen, damit es nicht bieder und zu klassisch bleibt.“
In die Vergangenheit zurück sollte aber kein Mann mit seiner Mode gehen, deshalb ist ein Stil-Mix eher Pflicht als Kür. Klassische Mode in Reinkultur sei langweilig, sagt Roetzel. „Da sieht man schnell aus wie ein Burschenschafter mit Barbour-Jacke.“ Es kommt immer auf den Bruch an - „damit nicht der Verdacht aufkommt, man lebe das so.“
Gebrochen werden kann ein klassisches Outfit auch mit einem wilden Bart. Solange Stilhelden noch Vollbart tragen, dürfe beziehungsweise sollte der Mann Vollbart tragen, findet Blogger David Roth. „Man muss aber anmerken, dass der Trend zur Gesichtsbehaarung längst in den Massen angekommen ist.“
In der Freizeit bedient sich der Gentleman des neuen Typus bei der Casual-Mode. „Da darf es ein schneidiges Sakko zur Baumwollhose sein und dazu in der Tat Sneakers“, sagt Werle. „Anzug trägt man zu Sandalen, Basecap zu zugeknöpften Hemd, und einen bodenlangen Mantel zu Turnschuhen“, zählt David Roth auf. Und Bernhard Roetzel nennt folgendes Outfit: „Ich habe obenrum Blazer und Weste, aber aufgerollte Chinos, damit es nicht so brav aussieht.“
„Ein Stilmix tritt immer häufiger auf“, sagt der Modeexperte Roth. Es werden verschiedene Kulturen und Zeiten und damit auch Stilrichtungen vermischt. „Eine Konsequenz der schnelllebigen Welt, in der wir heute leben.“ Die Barrieren, die Männer davon abhielten, sich modisch zu kleiden, etwas zu wagen, werden immer kleiner.
Der neue Gentleman will aber auf keinen Fall mit charakterlosen Karrieremachern im Anzug verwechselt werden. „Man steht über der Masse der grauen Büroarbeiter. Man kann es sich leisten, bunte Socken zum Anzug zu tragen“, erklärt Roetzel die Botschaft des Looks. Astrid Werle erkennt hinter dem Trend die Sehnsucht nach dem Guten, Wahren und Echten, das sich in einer sehr makellosen Mode ausdrücke.
Roetzel zufolge geht der Trend über das Modische hinaus. „Da gehen gewisse Rituale mit einher oder gewisse Getränke: der Gin Tonic als Ritual, aber auch der Sinn für ein gepflegtes Aussehen, der Kult um das Rasieren und Zigarren.“ Das Ganze sei auch ein bisschen die Imitation des Upperclass-Lebensstils. „Man ist lustig und unterhaltsam, aber bitte nicht zu viel Tiefgang. Man zeigt eine gewisse Sportlichkeit, die aber nie bemüht wirkt“, erklärt er.
Natürlich bringen solche Verhaltensweisen die Gefahr mit, sich zu blamieren. „Bei jungen Leuten ist das Gentleman-Gehabe manchmal ein bisschen albern, vor allem, wenn sie es sich alles nur angelesen haben“, sagt Roetzel. „Wenn jemand noch nie in England war, wirkt das ein bisschen künstlich.“ Astrid Werle warnt davor, in den falschen Situationen overdressed zu sein - zum Beispiel gegenüber dem Chef. Allein die Mode macht aus dem Mann noch keinen Gentleman.