Mehr als nur Rentnerspaß: Junge Kneipengänger stehen auf Bingo
Bremen (dpa) - Vom Disco-Bingo bis zum Kiez-Bingo: Das bei Senioren beliebte Glücksspiel ist ein Trend geworden, den nicht nur in Berlin junge Leute für sich entdeckt haben. Auch in Bremen und Osnabrück gibt es szenige Bingo-Abende.
Die Stimmung im „Eisen“, einer kleinen Punkrock-Kneipe im Bremer Ostertorviertel, ist aufgeheizt. Viele Gäste müssen stehen, als um 22 Uhr der Erfinder und Macher des „Electro-Bingo“, Hanno Balz, seinen großen Auftritt hat. In roten Badeshorts, Badelatschen und mit einer Rettungsboje unterm Arm stürmt er zu dem Titelsong von „Baywatch“ den Laden, schlängelt sich an seinem Publikum vorbei, lässt sich bejubeln und nimmt seinen Platz auf einem Podest neben dem Tresen ein.
„Macht euch locker ihr Spacken, es geht los!“, brüllt er ins Mikrofon, dreht die Musik voll auf und bringt seine kleine Bingomaschine zum Laufen. Jeder Gast erhält zum Getränk einen Spielschein und macht ein Kreuz auf seinem Zettel, sobald die Bingomaschine die passende Zahl ausspuckt. „Gewinne, Gewinne, Gewinne!“, ruft der schräge Typ ins Mikrofon und winkt mit einer Foto-Autogrammkarte von Pamela Anderson. Als ein junger Mann mit Dreadlocks laut „Bingo“ ruft, holt Balz ihn zur Preisübergabe aufs Podest: „Komm rüber gewackelt, du Frisur-Wunder!“
„Electro Bingo“ in Bremen, „Kiez Bingo“ in Berlin-Kreuzberg oder „Disco Bingo“ in Osnabrück - das Glücksspiel, das normalerweise gern von älteren Menschen gespielt wird, ist mittlerweile in abgewandelter Form auch bei jungen Kneipengängern beliebt. In Bremen veranstaltet der 42 Jahre alte Balz schon seit 13 Jahren einmal im Monat den Bingo-Abend im „Eisen“. Dazu erscheint er verkleidet, verspottet sein Publikum und kündigt viele der 75 Bingo-Zahlen mit kurzen Ausschnitten aus Musikstücken an. Wer „Six Pack“ der Punkband Blag Flag, „Three is the magic Number“ von De La Soul oder „One“ von Jonny Cash nicht erkennt, ist selbst Schuld - und wird beschimpft.
Balz nennt sich selbst eine „Rampensau“. Wenn er seine Show abzieht und sich mit einem Handtuch den Schweiß von seinem nackten, tätowierten Oberkörper wischt, würde niemand glauben, dass der ehemalige Sänger im bürgerlichen Leben promovierter Historiker und Dozent für Geschichte ist. Für die kommenden zwei Jahre hat er einen Lehrauftrag in Baltimore in den USA angenommen. Deshalb ist mit seinem „Electro-Bingo“ in Bremen vorerst Schluss. Dass der Glücksspielabend so gut ankommen würde, damit hätte Balz anfangs nicht gerechnet. „Der Bingo-Abend hat sich über Mundpropaganda schnell zum Selbstläufer entwickelt und Kultstatus erreicht, anfangs habe ich das erst gar nicht begriffen“, sagt Balz.
In Osnabrück hat sich der Sänger und Entertainer Christian Steiffen von Balz' Idee inspirieren lassen, wie er sagt. In der Kneipe „Grand Hotel“ organisiert er seit fünf Jahren mit ganz ähnlichem Konzept das „Disco-Bingo“. Steiffen: „Ich rede fünf Stunden lang blödes Zeug, der Laden ist mit rund 200 Leuten immer voll, und die Stimmung riesig.“