Raue Töne Missbrauchsdebatte: Nervt #MeToo so langsam?

Berlin (dpa) - Bill Murray winkt nur ab und geht ganz schnell weg, als ein Fernsehreporter ihn am Donnerstagabend am roten Teppich der Berlinale zur MeToo-Debatte befragen will. Im Gegensatz zum Hauptdarsteller aus „Und täglich grüßt das Murmeltier“ äußern sich andere Stars zwar, ringen aber oft um Worte.

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Senta Berger etwa sagt, das sei kein Thema für den roten Teppich, weil es zu komplex sei. Nicht nur in der Filmbranche - aber dort besonders, weil sie dort ja begann - werden die gesellschaftlichen Risse beim Thema #MeToo sichtbar.

Gefühlt haben sich inzwischen auch fast alle deutschen Promis - von Iris Berben bis Til Schweiger - zu der Hashtag-Kampagne rund um sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch geäußert - mal sehr persönlich, mal pauschal. Zuletzt sagte die Film- und Fernsehschauspielerin Heike Makatsch der „Süddeutschen Zeitung“: „Es kommt mir so vor, dass gerade jeder differenziertere Gedanke zum Thema, der vielleicht auch mal eine Ambivalenz benennt oder sogar eine Lanze bricht für die Gegenseite, so an den Pranger gestellt wird, dass es fast schon etwas von einer Meinungsdiktatur hat.“

Ähnliches hatte auch die Ex-Familienministerin Kristina Schröder (CDU) im Berliner „Tagesspiegel“ gesagt: „Ich denke, in der Diskussion wird zu viel vermischt: Krasse Fälle der Vergewaltigung oder der körperlichen Annäherung werden in einen Topf geworfen mit anzüglichen Bemerkungen. Das finde ich unangemessen.“ Während die einen nicht genug über strukturellen Sexismus und Machtmissbrauch von Männern sprechen können und zumindest langfristig große gesellschaftliche Veränderungen erhoffen, ist anderen die Debatte zu aufgebauscht oder aber nicht differenziert genug.

Überraschend äußerte sich am Freitag vergangener Woche zum Beispiel der Oscar-Preisträger Michael Haneke in der österreichischen Zeitung „Kurier“. Am Ende des Interviews sagte er: „Ich kann mir vorstellen, was man im Netz nach diesem Interview lesen kann: Haneke, the male chauvinist pig.“

Warum er das vermutete? Haneke sagte Sätze wie „Als Mann sollte man zu diesem Thema ja kaum mehr etwas sagen. Natürlich finde ich, dass jede Form von Vergewaltigung oder Nötigung zu ahnden ist.“ Und weiter: „Aber diese Vorverurteilungshysterie, die jetzt um sich greift, finde ich absolut degoutant. Und ich möchte nicht wissen, wie viele dieser Anklagen, die sich auf Vorfälle vor 20 oder 30 Jahren beziehen, in erster Linie Abrechnungen sind, die mit sexuellen Übergriffen nur wenig zu tun haben.“

Außerdem stört Haneke „die völlig unreflektierte Gehässigkeit, die blinde Wut, die sich nicht an Fakten orientiert und vorverurteilend das Leben von Menschen zerstört, deren Straftat in vielen Fällen noch gar nicht erwiesen ist“. So würden Menschen „medial gekillt, Leben und Karrieren ruiniert“. Ihn besorge der „neue, männerhassende Puritanismus, der im Kielwasser der #MeToo-Bewegung daherkommt“.

Im „Spiegel“ versuchte der TV- und Kinostar Ulrich Tukur, die deutsche Debatte über den des Missbrauchs beschuldigten Regisseur Dieter Wedel einzuordnen - was in manchen Ohren relativierend klang: Es gebe „einen Männertypus, der süchtig ist nach Macht und Überlegenheit, privat wie beruflich“. Es gebe überall „Menschen, denen Macht als Ersatzbefriedigung für etwas dient, was tief in ihrem Innern nicht funktioniert. Weil wir beim Film und beim Theater mit Emotionen arbeiten, ist es da nur deutlicher zu sehen und strahlt besonders hell in seiner Hässlichkeit.“

Der Filmemacher Sebastian Schipper („Victoria“) sieht in der MeToo-Debatte dagegen auch eine Chance für Männer. „Was wir Männer zu lernen haben, ist: Diese Welt ist in ganz großen Teilen auf uns ausgerichtet“, sagte der 49-Jährige „Spiegel Online“. „Was für ein unglaubliches Privileg das bedeutet, dass wir per se keine Angst haben müssen, dass man uns vergewaltigt, dass man uns lächerlich macht. Dass wir nicht ständig überlegen müssen, ob wir uns in bestimmten Situationen in Gefahr bringen! Das ist vielen von uns - inklusive mir - noch nicht in vollem Umfang bewusst.“

In dem Interview kritisiert Schipper auch männliche Kollegen, die seiner Meinung nach Vorwürfe gegen mächtige Männer verharmlosen oder von einer Hexenjagd sprechen. Auf die Frage, ob Männern Privilegien durch #MeToo verlorengingen, sagte Schipper: „Was soll da bitte verloren gehen? Das Flirten? Was für eine Art von schützenswertem Flirt soll es sein, bei dem sich die andere Person mies fühlt?“

Es gibt auch Zuversicht. In der US-Filmbranche, wo #MeToo mit Missbrauchsvorwürfen gehen Top-Produzent Harvey Weinstein im Herbst seinen Anfang nahm, werde die Debatte wirkliche Veränderungen in der Schauspielbranche mit sich bringen, meint Hollywood-Superstar Meryl Streep. „Aus meiner Sicht als Feministin erleben wir gerade den optimistischsten Moment in 40 Jahren - mit dem Preis einiger sehr zerstörter Frauenleben“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur und einigen anderen internationalen Medien in New York. „Die ganze Welt wird sich verändern, wenn wir Gleichberechtigung haben und Partnerschaftlichkeit erleben.“

Dazu bedürfe es aber keiner reinen Symbole, meint die deutsche Schauspielerin Senta Berger. Deshalb hält sie auch nichts von der Idee, den roten Teppich bei der Berlinale als Beitrag zur #MeToo-Debatte schwarz einzufärben. Ein schwarzer Teppich sei nicht mehr als „ein Signal, das morgen vergessen ist“, sagte Berger der dpa bei der Eröffnung der Filmfestspiele am Donnerstagabend. Vielmehr gehe es darum, eine gesellschaftspolitische Debatte auszulösen. „Das sollten wir uns nicht kaputt machen mit so Kinkerlitzchen.“